Oliven sterben im Salento

Schon lange wollte ich etwas über die Olivenbäume im Salento schreiben. Genau genommen seit knapp vier Jahren. Damals reisten mein Liebster und ich in den Salento, um einen Schulfreund zu besuchen. Es war Herbst. Wir fuhren vom Flughafen Bari auf der Autostrada Richtung Süden. Links viel Meer, rechts viele Olivenhaine. Ein Großteil der Bäume hatte kaum mehr Laub, manche waren komplett kahl. Je weiter wir den Stiefelabsatz hinunterfuhren, umso skeletthafter sahen die Bäume aus.

„Sag’ mal, werfen Oliven im Winter eigentlich ihr Laub ab?“, fragte ich beiläufig den Mann an meiner Seite. Erwartungsgemäß wusste der in diesen Dingen ebenso Unbedarfte wie absolut nicht Gründaumige auch keine sinnstiftende Antwort. Und so fuhren wir ahnungslos weiter. Die Frage danach, ob Oliven immergrüne Bäume sind oder nicht, beschäftigte uns während unseres Aufenthaltes erstaunlicherweise überhaupt nicht mehr. Obwohl wir auch in den folgenden Tagen andauernd an kahlrasierten Olivenhainen vorbei fuhren, machte sich keiner von uns die Mühe, dem Phänomen auf den Grund zu gehen.

Erst Monate später stieß ich zufällig auf einen Artikel, der sich mit dem „Olivensterben“ in Apulien beschäftigte. Demnach wurden 2013 südlich von Lecce zum ersten Mal rätselhaft vertrocknete Olivenbäume entdeckt. Schuld daran wäre, so der Artikel, ein Bakterium mit dem passenden Namen Xylella Fastidiosa.

„Fastidiosa“ bedeutet auf italienisch so viel wie “nervig” und ich kann mir gut vorstellen, dass ein olivenliebender Agronom dem Krankheitserreger diesen Namen verpasst hat. Bei genauerer Betrachtung verharmlost der Beiname „nervig“ die Auswirkungen des Bakteriums allerdings drastisch. Das Feuerbakterium – so der deutsche Name – „gilt wegen seiner Aggressivität, dem großen Wirtspflanzenkreis, insbesondere aber aufgrund der Schwierigkeit bei der Vorbeugung und Bekämpfung der Krankheit als einer der gefährlichsten Schadenerreger“.

Ich rief mir die bizarr nackten Olivenbäume von unserem Herbstausflug in Erinnerung. Von wegen “Herbstlaub”! – Die Bäume, die wir gesehen hatten, waren alle tot oder zumindest auf dem Weg zu sterben!

Seitdem habe ich viele Artikel zu dem Thema gelesen und immer wieder auch mit Auskennern vor Ort gesprochen. Und je mehr ich las und hörte, desto irrer stellte sich mir die Geschichte vom Olivensterben in Apulien dar. Als Spoiler hier schon mal vorab: Ja, es gibt das Olivensterben und ja, es ist auch dramatisch. Dafür sprechen auf jeden Fall die Zahlen und Fakten:

Bis 2022 fielen der Xylella in Apulien 17 Millionen Olivenbäume zum Opfer, 150.000 Hektar Anbaufläche wurden zerstört, in der Region werden 30.000 Tonnen weniger Olivenöl jährlich produziert, mit einem Verlust 130 Mio. Euro und daran gekoppelten 5.000 Arbeitsplätzen.

Aber wie kam es dazu? Ist tatsächlich an allem die “nervige Xylella” schuld – oder handelt es sich eher um einen handfesten Polit-Wirtschaftskrimi bei dem, naturalmente, auch die italienische Mafia eine Rolle spielt?

Wahrscheinlich ist es, wie meistens im Leben, ein bisschen von beidem, und deshalb werde ich im Folgenden beide Geschichten in Kurzform erzählen.

Geschichte 1: Das „Killerbakterium“

2013 wurden im Salento, diesem herrlichen Südzipfel von Apulien, die ersten Olivenbäume entdeckt, die offenbar von einem rätselhaften Bakterium befallen waren. Die Untersuchungen ergaben, dass es sich um eine besondere Form der Xylella handelte, die schon oben erwähnte “Xylella Fastidiosa”, zu deutsch: Feuerbakterie. Die Fachleute wunderten sich, denn die Feuerbakterie war bislang nie in Europa aufgetreten. Man kannte sie aus Kalifornien, Costa Rica und Brasilien, wo sie Weinstöcke, Oleander und Zitrusfrüchte befallen hatte, aber nie Olivenbäume. Sofort ordnete die Provinzregierung an, die infizierten Bäume zu entwurzeln und alle weiteren Bäume im Umkreis von 100 Metern zu fällen. In nur zwei Tagen wurden in damals in der Nähe von Brindisi 925 Olivenbäume gefällt. Selbst Naturdenkmäler blieben nicht verschont, darunter ein rund 2000 Jahre alter Olivenbaum in Oria. Man kann sich leicht vorstellen, dass sich Unmut bei den lokalen Bauern regte. Viele Bauern weigerten sich, ihre Felder zu roden. Immerhin bildeten die Olivenhaine ihre Existenzgrundlage und selbst wenn der Staat für jeden gefällten Baum eine Entschädigung von rund 260 € zahlte, stellte das eine kaum ernstzunehmende Perspektive dar. Zumal den Bauern offiziell verboten wurde, neue Bäume zu pflanzen.

Zwischenzeitlich gab es auch die Verordnung, grundsätzlich alle befallenen Olivenbäume, egal wo und welchen Alters, zu roden. Das sorgte für großen, durchaus auch medienwirksamen Widerstand von Naturschützern. Sie wollten die uralten Bäume nicht der schnöden Logik wirtschaftlicher Erwägungen opfern, zumal es sich um Weltnaturerbe handelte.

Kurzum: es gab eigentlich immer genug (gute und weniger gute) Gründe, nichts oder zumindest wenig zu tun. Und da sich die Italienische Kultur sich auch nicht sooo wahnsinnig von der deutschen unterscheidet, lautete das Motto auch hier: Aussitzen. Schauen, was passiert.

Geschichte 2: Die Industrialisierung der Landwirtschaft

2010 – also drei Jahre, bevor Xylella Fastidiosa zum ersten Mal im Salento nachgewiesen wurde, fand an der Universität von Bari ein Workshop statt, der sich der Feuerbakterie und den mit ihr verbundenen Quarantänemaßnahmen widmete. Unter den Referenten befanden sich u.a. Forscher von der Universität Berkeley, bekannt als „größte Experten der Xylella Fastidiosa“ sowie Betreiber des Xylella-Forschungslabors Almeida. Die Wissenschaftler brachten damals das Bakterium zu Forschungszwecken zum Teil im Handgepäck mit nach Bari. Ob und wo das „Forschungsmaterial“ dann eingesetzt bzw. getestet wurde, ist nicht bekannt. Komisch, oder? Später fanden Staatsanwälte allerdings heraus, dass im Salento seit 2010 nicht genehmigte Pflanzenschutzgifte „getestet“ wurden, u.a. sogar das Pestizid Glyphosat des Agrarmultis Monsanto. Hmmmmhh.

Seit der „Entdeckung“ der Feuerbakterie ging jedenfalls ein üppiger Regen an Fördergeldern nieder – für die Erforschung der Ursachen und mehr noch für die Entwicklung neuer, industriell anbaufähiger Olivensorten. Zu letzterem haben die Universität Bari und das Agrarforschungsinstitut gemeinsam mit dem Agrarmulti Agro Millora ein Abkommen geschlossen. Durchaus mit Erfolg, denn seit 2017 werden mit grünem Licht aus Brüssel die neuen, industriell anbaufähigen Olivensorten „Leccino“ und „Favolosa“ im Salento angepflanzt. Es ist kaum verwunderlich, dass es sich dabei um genau jene im Labor entwickelten Sorten handelt, die von der Universität Bari und dem Agrarmulti Agromillora patentiert wurden und für die nun jeder Bauer Lizenzgebühren zahlen muss.

Wie auch immer man diese neue Sortenentwicklung deuten will – sicher ist, dass der Xylella-Hysterie nicht zuletzt der Tourismusindustrie im Salento genutzt hat. Denn der Salento boomt seit einigen Jahren. Spekulanten und Immobilienentwickler wittern große Geschäfte. Und weil Feriensiedlungen, Hotelanlagen und Golfplätze erst gebaut werden können, wenn die Olivenbäume beseitigt sind, kommt Xylella einigen Großinvestoren wie gerufen. Zumal wenn man bedenkt, dass die Bauindustrie ein klassisches Standbein der Mafia ist. Neben Camorra und ‘Ndrangheta ist es vor allem die Sacra Corona Unita, die als jüngste Mafia-Organisation in Apulien Terrain erobert.

Und jetzt?

Vermutlich ist die Feuerbakterie schon seit Jahrzehnten in Apulien heimisch. Aber ist sie deshalb auch für das Olivensterben verantwortlich?

In den letzten Jahren hat sich im ökologischen Bewusstsein viel getan. Anstelle einer auf Profitmaximierung setzenden industrialisierten Landwirtschaft experimentiert eine junge Generation mit Prinzipien der Kreislaufwirtschaft. Zum Beispiel die Kooperative Spazi Popolari von Sannicola, eine Initiative für organisch-ökologischen Anbau, die sich der Verteidigung des Salento verschrieben hat. Zu ihren Mitgliedern gehören neben Öko-Landwirten auch Umweltschützer genauso wie Anti-Mafia-Aktivisten, Studentinnen und Fabrikarbeiter. Die Ursachen des Olivensterbens sehen sie eher im überflüssigen Pflügen und Beschneiden der Olivenbäume mitten im Hochsommer insbesondere aber im verschwenderischen Gebrauch von verbotenen Pestiziden und Fungiziden zur „Unkraut“-Vernichtung. 

Bäume soll man wie Lebewesen behandeln. Diese alte Weisheit beherzigt eine junge Bauerngeneration, der es bisweilen sogar gelingt, vertrocknete Olivenbäume mit den altbewährten Mitteln Kupfer, gemahlener Kalkstein und Humus mit Regenwürmern wiederzubeleben.

Auf jeden Fall scheint es den Oliven zunehmend besser zu gehen! Wenn ich heute über Land fahre, dann sind viele Plantagen aufgeforstet. Die kahlen Bäume treiben in diesem Frühjahr wieder vermehrt aus und zwischen den alten Oliven wachsen junge Setzlinge.

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