
Zum Ende des Winters: FARBE!!!
Das menschliche Auge kann Millionen von Farbtönen unterscheiden und erkennt auch noch winzigste Unterschiede entlang des visuellen Spektrums. Allerdings gibt es in keiner Sprache mehr als 1000 Wörter für Farbtöne und außer Kosmetikern, Designern oder Malerinnen kennt kaum jemand mehr als 100 davon. Wobei: das ist noch immer verdammt viel! Ich habe mir mal den Spaß gemacht, die Farbtöne zu zählen, die ich kenne und komme mit Ach und Krach auf 30…
… Von denen habe ich mir heute Orange für eine genauere Betrachtung ausgesucht. Warum gerade Orange? Orange ist eine Knallerfarbe, die gerade am Ende des Winters gute Laune macht. Menschen lieben Orange wegen Sonnenaufgängen und -untergängen. Orange steht für Erleuchtung (da komme ich noch drauf) aber auch für Gefahr. Warnschilder, Rettungsfahrzeuge und die Müllabfuhr nutzen die Signalfarbe. Orange bringt Farbe in den Alltag, wirkt lebendig und ist saftig wie eine Orange. Womit wir beim Thema wären: Die Orange ist orange. Klar oder? Überraschenderweise nicht, denn die Farbe gibt es noch gar nicht so lange.
Was nun folgt ist eine kleine Entdeckungsreise.

Es gab kein Orange, bevor Orangen nach Europa kamen
Im Mittelalter war nur „gelberôt (mittelhochdeutsch für Gelb-Rot) als Farbe bekannt, auch im Altenglischen gab es nur „geolu-read“. Das zusammengesetzte Wort blieb über Jahrhunderte die gängige Bezeichnung für die Farbe Orange. Der Platz zwischen Gelb und Rot blieb eine Leerstelle im Farbspektrum. Sie wurde erst besetzt, als eine exotische süße Frucht aus Asien nach Europa kam.
Im 16. Jahrhundert wurden Orangen zu einem Handelsgut entlang der Seidenstraße. Portugiesische Händler brachten die Früchte auf dem Seeweg von Indien nach Europa. Die botanische Bezeichnung „citrus sinensis“ verweist auf deren Urheimat China. Über den Mittelmeerraum erreichte der „Apfel aus China“ (Apfelsine) schließlich Deutschland. Auch die französische Sprache kennt den Chinaapfel als „pomme de Sine“, geläufiger wurde hier aber das Wort Orange als Substantiv für die Frucht wie auch als Adjektiv für die Farbe. Es stammt vom Altprovenzalischen „auranja“, wobei das wiederum aus dem Spanischen „naranja“ kommt und sich aus dem Arabischen „nārandsch“ ableitet. Die Araber haben das Wort aus dem Persischen „nārendsch“ beziehungsweise „nāreng“ – was wörtlich übersetzt „von Elefanten bevorzugt“ bedeutet. An dieser Stelle sollte schließlich auch „nāranga“ aus dem Sanskrit nicht unerwähnt bleiben.
Diese schwindligmachende etymologische Spurensuche zeigt nicht nur, dass Elefanten offensichtlich schon immer große Orangenliebhaber gewesen sind, vielmehr lassen sich anhand der Wortwanderungen auch die wirtschaftlichen Handelswege nachvollziehen.
Psychologische Aspekte
Seitdem Orangen für Europäer einen Teil des sichtbaren – und essbaren – Alltags bildeten, setzte sich auch die Farbe immer mehr durch. Ihre offizielle Anerkennung als eine der sieben Farbkomponenten im Farbkreis erhielt Orange schließlich mit den optischen Experimenten von Issac Newton. Damit wurde sie übrigens auch zum festen Bestandteil der sieben Farben des Regenbogens.

Anordnung der Spektralfarben in Newtons „Opticks“ (1704) mit den Grundfarben Rot, Orange, Gelb, Grün, Cyanblau, Ultramarinblau, Violettblau
Rund 100 Jahre später erweiterte Goethe die physikalische Analyse Newtons, indem er die rein physikalische Betrachtung um eine phänomenologische ergänzte.

In seiner 1810 erschienenen Farbenlehre argumentiert er, dass Farben nicht nur ein Ergebnis von Lichtzerlegung sind, sondern auch von Sinnesempfindungen und psychologischen Eindrücken abhängen. Zu Orange schreibt er:
„Die aktive Seite ist hier in ihrer höchsten Energie, und es ist kein Wunder, daß energische, gesunde, rohe Menschen sich besonders an dieser Farbe erfreuen.“
Weitere 100 Jahre später schreibt der Maler Wassily Kandinsky: „Farbe ist die Kraft, die die Seele direkt beeinflusst“ und knüpft mit der Betonung der psychologischen Wirkungen von Farben an Goethes Farbenlehre an. In seiner Schrift „Über das Geistige in der Kunst“ (1912) kommt auch er auf Orange als Mischfarbe zurück:
“Das warme Rot, durch verwandtes Gelb erhöht, bildet Orange. Durch diese Beimischung wird die Bewegung in sich des Rot zum Anfang der Bewegung des Ausstrahlens, des Zerfließens in die Umgebung gebracht. Das Rote aber, welches eine große Rolle im Orange spielt, erhält dieser Farbe den Beiklang des Ernstes. Es ist einem von seinen Kräften überzeugten Menschen ähnlich und ruft deswegen ein besonders gesundes Gefühl hervor. Wie eine mittlere Kirchenglocke, die zum Angelus ruft, klingt diese Farbe, oder wie eine starke Altstimme, wie eine Largo singende Altgeige.”
Wassily Kandinsky, Über das Geistige in der Kunst, 1912
Erleuchtung in Orange

Orange steht für Bewegung. Für Wärme, Energie, Feuer und Kraft. Als Farbe des Sonnenaufgangs ebenso wie Sonnenuntergangs symbolisiert sie Anfang und Ende. Nicht zufällig ist Orange im Buddhismus omnipräsent. Die Gewänder der Mönche symbolisieren die höchste Stufe der menschlichen Erleuchtung.
Auch in Irland spielt die Farbe Orange eine große Rolle. Zurückgehend auf das Königshaus der Oranier, die 1690 den protestantischen Aufstand in Nordirland unterstützt haben, findet sich deren Farbe in der irischen Flagge als Farbe des Protestantismus wieder.

Und selbstverständlich ist die Farbe in den Niederlanden bis heute präsent. Obwohl die Farben der Landesflagge Blau, Weiß und Rot sind, gilt Orange als die niederländische Nationalfarbe. Bei royalen Ereignissen und Fußballspielen verwandelt sich das ganze Land in ein orangefarbenes Flaggenmeer. Wenn die Fußballmannschaft des Landes in ihren orangefarbenen Trikots auf den Platz läuft, fiebern die Fans in Orange mit.
Die Signalfarbe

In den 1970er Jahren erobert Orange dann als Farbe des Aufbruchs die Mode. Bekannt sind die psychedelischen Tapetenmuster in Orange- und Brauntönen und die in Plastik gegossenen Designmöbel von Verner Panton geniessen bis heute Kultstatus unter Sammlern.
Orange ist laut – es ist die Farbe, die auch bei schwachem Licht vom menschlichen Auge am besten zu erkennen ist. Nicht ohne Grund wird Orange deshalb in vielen Bereichen des täglichen Lebens als Warn- und Signalfarbe eingesetzt – ob bei Rettungswesten, im Straßenverkahr, bei der Müllabfuhr oder in der Häftlingskleidung.
Apropos Signale: Vor einigen Monaten hat das berühmte Pantone Color Institute mit „Peach Fuzz!“ die Trendfarbe für 2024 gekürt. Das Ausrufezeichen ist eine Reminiszenz an das Laute, Knallige vom Orange, ansonsten dominiert ein milder Pfirsichton. „Peach Fuzz!“ ist sozusagen Orange minus orange – eine neue Mischform, die in ihrer verschliffenen Farbigkeit aber auch der latent mitschwingenden Aggressivität eigentlich perfekt zum gesellschaftlichen Zeitgeist passt.
