Das Naturschutzgebiet Porto Selvaggio im südlichen Salento und Renata Fonte, Aktivistin aus Nardò und erste von der Mafia ermordete Frau, sind eng miteinander verflochten. Über beide will ich heute schreiben.

Im Porto Selvaggio steht eine rote Bank mit einer Inschrift:
“E sono ancora qui che cerco di scrivere una storia, la mia storia. Qualcuno ha fatto tecere la mia voce … ma c‘e ancora in sottofondo un motivo di poche note che e il tema musicale di tutto quello che ho dentro.” Renata Fonte
(Und ich bin immer noch hier und versuche, eine Geschichte zu schreiben, meine Geschichte. Jemand hat meine Stimme zum Schweigen gebracht… Aber es gibt noch immer ein Motiv, es besteht aus ein paar Noten und ist das musikalische Thema von allem Schönen, das ich in mir trage.)
Die Bank steht an einem dieser typischen Aussichtspunkte des weitläufigen, mit Kiefern und Pinien bestandenen Geländes, das steil zum Meer hinabfällt. Von dort hat man einen traumhaften Blick auf das Meer, tiefblau-türkis bis zum Horizont. An der Küste brechen sich die Wellen an den kantigen Felsplateaus, danach kommt das Gestrüpp der Macchia, dann der Wald. Ansonsten nichts. Kein Haus, keine Straße. Nur Fußwege durchziehen das Gelände.

Selvaggio bedeutet italienisch „wild“ und wild und urwüchsig ist das ungefähr 1.200 ha. große Gelände, das sich von Santa Maria al Bagno, der Marina von Nardò, Richtung Norden bis kurz vor St. Isidoro an der Küste entlangzieht. Die Küstenlinie ist zerklüftet; immer wieder trifft man auf traumhafte kleine Buchten, die umspült sind von diesem lapislazuligrünen Meer, bei dem man auch bei 10 Metern Tiefe noch bis zum Grund schauen kann.
Die Gegend ist einsam. Wenige Spaziergänger, ein paar Touristen mit sonnenverbrannten Schultern und hin und wieder Schulklassen auf Naturexkursion. Und überall Schmetterlinge, deren leuchtendgelb-orangene Flügel flatternde Farbpunkte setzen.

In den späten 1970er Jahren sahen die Pläne für den Porto Selvaggio noch ganz anders aus
Es war die Zeit, als der Tourismus auch in die Regionen jenseits der klassischen norditalienischen Reiserouten vorzudringen begann. Mit dem Porto Selvaggio hielt die Provinzregierung von Nardò einen Rohdiamenten in den Händen, der touristisch erschlossen, weit über die Region hinaus zum Funkeln gebracht werden sollte.
Aufgrund seiner Lage und Größe bot die Naturlandschaft den Fantasien von Immobilienentwicklern und Investoren eine optimale Projektionsfläche. Kein touristischer Traum war zu vermessen, nahezu alle Parameter schienen zu passen. Und so dauerte es nicht lange, bis ein Masterplan erstellt wurde, nach dessen Vorgaben fast das gesamte Gelände von Porto Selvaggio einer riesigen Ferienanlage weichen sollte. Die Investoren waren bereits gefunden, das Projekt musste nur noch offiziell durch die Kommunalversammlung bestätigt werden.

Doch dann kam Renata Fonte
1951 in Nardò geboren, jung, alleinerziehende Mutter von zwei Töchtern und Grundschullehrerin, begann Renata schon mit Anfang Zwanzig, sich für Umweltbelange in ihrer Region zu engagieren. Es waren die 1970er Jahre; der Club of Rome hatte gerade seinen Bericht über „die Grenzen des Wachstums“ veröffentlicht und die Energiekrise brachte zum ersten Mal die Endlichkeit der fossilen Ressourcen zu Bewusstsein. Auch im eher verschlafenen Salento entstanden lokale Umweltschutz-Gruppen. Renata Fonte übernahm die Leitung des Komitees, das sich für den Schutz von Porto Selvaggio gegen die Interessen von Bauspekulanten und der lokalen Immobilien-Lobby einsetzte und bezog öffentlich in den Medien Stellung. Man ließ sie zunächst gewähren. Doch keiner hatte mit der aktivistischen Power und dem politischen Durchhaltevermögen dieser Frau gerechnet. Voller Hoffnung auf Erneuerung kandidierte sie 1982 bei den Kommunalwahlen und setzte sich auf Anhieb gegen einen erfahrenen Partei-Kollegen durch. Als erste Frau wird sie zur Stadträtin und Kulturrätin ihrer Gemeinde gewählt – ein Indiz dafür, wie eng Kultur und Umweltbelange auch damals schon miteinander verflochten waren.
Das Engagement der alleinerziehenden Mutter ist vielen ein Dorn im Auge. Der politische Widerstand gegen sie wächst und sie erhält Todesdrohungen. Trotzdem lässt sie sich nicht beirren und macht weiter. Ruft weiterhin zu Müllsammel-Aktionen im Porto Selvaggio auf, macht ihre politische Arbeit und schreibt daneben Gedichte und Kurzgeschichten.
Bis zum 31. März 1984. Da wird wird Renata Fonte nach einer Kommunalsitzung abends auf dem Weg nach Hause heimtückisch erschossen. Der Mord konnte nie völlig aufgeklärt werden. Vieles spricht dafür, dass Antonio Spagnolo, ihr Widersacher im Rennen um den Ratsvorsitz, den Mord in Auftrag gegeben hat. Manche munkeln auch, die pugliesische Mafia, die „Sacra Corona Unità“, stecke dahinter. Das klingt durchaus einleuchtend, wenn man bedenkt, dass die Bauindustrie immer schon ein klassisches Standbein der Mafia gewesen ist.

Beerdigung von Renata Fonte, April 1984 in Nardò
Ob Mafia oder andere Investoreninteressen – klar ist, dass mit Renata Fonte eine unbequeme Stimme zum Schweigen gebracht werden sollte, die energisch gegen lokale Bauspekulationen eintrat. Dabei gehört es zur Ironie der Geschichte, dass gerade der gewaltsame Tod von Renata Fonte den rund 1.200 ha großen Küstenstreifen letztlich rettete. Denn nach dem Mord konnten die Bauspekulationen nie wieder Fuß fassen. Das von Renata Fonte auf den Weg gebrachte Regionalgesetz wurde in den Folgejahren ratifiziert und das Gebiet in ein regionales Naturschutzgebiet überführt. 2007 wurde der Naturpark schließlich vom italienischen Umweltfonds FAI in die Liste der „100 schützenswerten Orte“ aufgenommen.

Wer sich für die Geschichte von Renata Fonte interessiert:
• Zum Leben von Renata Fonte gibt es eine Graphic Novel von Ilaria Ferramosca und Gian Marco De Francisco: Nostra madre Renata Fonte
• 2018 erschien ein Piopic über Renata Fonte: Una Donna Contro Tutti
• Schließlich gibt es einen Wein „Renata Fonte“ https://www.gebana.com/shop/de-ch/renata-fonte-hisotelaray-vormerken.html
• und eine Orchidee wurde nach ihr benannt: renatafontae
Armin Schafberger
7. Juni 2023 — 16:34
Danke für die schöne Erinnerung an Renata. Jetzt weiß ich, wo wir im Winter unsere große Italien-Tour beginnen…
Anja
7. Juni 2023 — 18:23
das freut mich! Kommt uns gerne besuchen, dann machen wir einen Lauf durch den Porto Selvaggio 🙂