
Zum ersten Mal seit Monaten zeigt sich Licht im Corona-Tunnel. Noch ist es eher ein kleines Lämpchen, aber immerhin: Deutschland fängt endlich damit an, richtig – und das heißt: durchorganisiert – zu impfen. Die Impfreihenfolge ist aufgehoben, jetzt dürfen (fast) alle. Die niedergelassenen Ärzte sind mit eingestiegen und impfen im Minutentakt. Letzte Woche wurden in Deutschland an einem Tag mehr als 1 Mio. Leute geimpft. Auch ich habe diese Woche meine erste Corona-Impfung ergattert – juhu! Dank an Freunde von Freunden, die mir den Termin in einer privaten Praxis verschafft haben.
Zudem sind für das kommende Wochenende endlich Temperaturen angekündigt, die für einen Mai angemessen sind. Auch das Klima scheint also ein Einsehen zu haben. Raus aus den wintermanteligen Vermummungen und rein ins Licht des Post-Corona Frühlings. Die Masken bleiben natürlich bis auf Weiteres, aber immerhin, ein Anfang ist gemacht.
Zeit für einen Corona-Post

Weniger Autoverkehr und stattdessen fahrradfreundliche Städte? Ein bewussterer Umgang mit den natürlichen Ressourcen? Beruflicher Alltag im Remote Work am heimischen Bildschirm? Weniger Fleisch essen? Regional Urlaube statt Flugreisen übers Wochenende? Energieeffizientes Bauen mit recyclingfähigen Materialien? Bestimmt von allem ein bisschen, wenigstens, hoffentlich.
Arbeit
Wenn ich meine persönliche Bilanz ziehe, dann hat sich auf jeden Fall eine Sache ganz fundamental verändert: Mein Verständnis von Arbeit. Das wird bleiben, da bin ich sicher.
Ich arbeite weniger, mit mehr Spaß und verdiene dabei mehr. Nein, nicht Geld, davon habe ich seit der Pandemie definitiv weniger. Was ich meine, ist ein Gewinn an Energie, Selbstwirksamkeit und Glück. Ja, genau: Glück! Das hat sehr viel zu tun mit Selektion. Ich bin kritischer geworden mit dem, was ich tue, wähle bewusster aus, mit wem und womit ich meine Zeit verbringe. Irgendwann im vergangenen Jahr habe ich meine berufliche Existenz entkoppelt von Leistungsdruck und wirtschaftlichen Effizienzdenken. Ich bin aus der Spirale des Höher, Weiter, Schneller ausgestiegen und bewege mich nun in einem selbstgeschaffenen Ökosystem aus Werten und Überzeugungen. Ich mache Dinge, die ich vertreten kann und die mache ich so gut wie möglich. Klingt einfach? Ist es auch, man muss sich allerdings darauf einlassen – und die Angst verlieren, zu scheitern, nie mehr einen „ordentlichen“ Job zu bekommen oder die Miete nicht mehr bezahlen zu können. Ich habe gelernt, dass sich das Alles von alleine regelt, wenn erst die Angst und der Leistungsdruck verschwunden sind.
Das war am Anfang der Pandemie durchaus anders.
Zuerst kam die Panik
Wie bei fast allen freiberuflichen Kreativarbeiter*innen brachen auch bei mir kurz nach Ausbruch der Pandemie die Jobs weg. Bestehende Aufträge wurden, sofern möglich, storniert oder auf unbestimmte Zeit verschoben, Akquiseverhandlungen eingefroren und laufende Projekte auf ein Minimum heruntergefahren. Auf einmal hatte ich Zeit. Viel Zeit, die ich mir immer gewünscht hatte, aber die auf einmal so unsäglich zäh vor sich hin floss und ein ebenso zähes Grübeln verursachte: Soll ich mich um eine Festanstellung kümmern? Im Supermarkt Regale einräumen? Eine Weiterbildung beantragen? All die schönen Ideen, die ich mir immer für eine Zeit aufgehoben hatte, in der ich – endlich – einmal Zeit haben würde, klangen auf einmal wie der reinste Hohn: ein Buch schreiben, den Lampenschirm vom Sperrmüll restaurieren, die zehn Bücher lesen, die seit Monaten in meinem ebook-Speicher vor sich hinmodern oder auf der Terrasse meines Landhauses sitzend die Blüten des Birnbaums zählen, die sich über meinem Kopf ausbreiten? Die Möglichkeiten waren ebenso unendlich wie unmöglich. Mitten im Ausnahmezustand schien es geradezu absurd, einfach so in den Tag zu leben. Die Zukunft war ungewiss wie selten und ich musste doch irgendetwas “Vernünftiges” tun …?!

Viele schlaflose Nächte folgten …
Bekomme ich morgen noch Klopapier im Supermarkt? Warum sind die Ampeln unten auf der Straße eigentlich noch angeschaltet, wo doch kaum mehr Autos unterwegs sind? Sollte ich die rot leuchtenden Ampeln vielleicht symbolisch für die Gesamtsituation und vor allem für mich ganz persönlich interpretieren? Wird mich meine demenzkranke Mutter noch erkennen, wenn ich sie endlich wieder besuchen darf? Bin ich eine Systemirrelevante oder eine Systemirre? Meine Gedanken fuhren Achterbahn und morgens wachte ich schweißüberströmt auf.
Mitspielen wollen
Ich bin mit dem Ideal aufgewachsen, dass es ein zentrales Ziel im Leben sein soll, einen Job zu finden, der es ermöglicht, sich selbst zu verwirklichen. Dieses Versprechen geht mit der perversen Konsequenz einher, dass Krisen im Job automatisch zu Lebenskrisen werden. Der Job verschmilzt mit dem Leben. Wenn es nicht gut läuft – Pech gehabt. Arbeit wird zum Fetisch von Workaholics. Berufliche Bestätigung füttert das eigene Ego. Ich habe das selbst viele Jahre so gelebt.
Je länger die Pandemie dauerte, desto mehr wurde mir die perverse Logik dieser Einstellung bewusst: Wenn man keine Zeit hat, sehnt man sich danach, raus aus dem Hamsterrad zu kommen, um Zeit für die schönen Dinge des Lebens zu haben. Und wenn man zu viel Zeit hat, ist genau das auf einmal Gift fürs Wohlbefinden. Existenzpanik macht sich breit und lähmt alles. Starr und unkreativ sitzt man da und wartet auf einen erlösenden Anruf, einen Auftrag, ein Wunder.

Das Wunder kam nicht und ich begann ernsthaft, mich auf Stellen zu bewerben. Es war tatsächlich das erste Mal in meinem Berufsleben, dass ich mich offiziell bewarb (mit 56!). Ich wollte um jeden Preis wieder „mitspielen“, wahrgenommen werden, Resonanz erzeugen. Ich dachte mir Initiativbewerbungen und Projekte aus und sendete meine Daten in den Cloud-Himmel. Der Himmel war bewölkt und das Echo war bescheiden. Die Jobs waren entweder nichts für mich oder ich nichts für die Jobs. Auch sonst war nicht viel los in der Kommunikationszentrale meines home office. Alle meine Freunde schienen super busy zu sein. Ich stellte mir vor, wie sie an ihren Computern saßen, an Webinaren teilnahmen und sich die neuen Online-Tools draufpackten, um in der neuen Corona-Arbeitswelt wettbewerbsfähig zu bleiben. Während ich in meiner Wohnung saß, den Tomaten beim Wachsen zuschaute und regelmäßig laufen ging, um die Gummibärchen wieder abzutrainieren, die ich zuvor tütenweise vertilgt hatte. Von wegen Home-Office, der blanke Euphemismus!
Wertvoll leben !?
Das Härteste in diesen ersten Wochen war, dass ich mir eingestehen musste, wie sehr meine Identität an die Arbeit getackert war. Viel Arbeit = viel Wert, wichtige Aufträge = wichtiges Leben. Der Umkehrschluss schmerzte mein Ego. Und ich lief und lief. Der Gleisdreieckpark wurde mein Verbündeter, um die schlaflosen Nächte voll irrlichternder Gedanken zu verjagen. Irgendwann braute sich aus Selbstmitleid und Angst ein Cocktail zusammen, der einen energetischen Schub auslöste. Ich holte meine Stehlampe aus der Ecke, die ich auf dem Sperrmüll gefunden hatte und begann, den zwei Meter hohen Schirm mit Wolle zu bespannen. Ich zog feine Mohairfäden durch das Metallgeflecht, einen nach dem anderen, von oben nach unten und wieder nach oben. Stundenlang. Irgendwann wurden die ersten Fortschritte sichtbar; ein drei fingerbreiter Streifen aus flauschigem Türkis spannte sich über die Verstrebungen,. Bei schönem Wetter verlegte ich die Arbeit auf den Balkon, bei schlechtem Wetter schleppte ich die Lampe ins Arbeitszimmer und machte dort weiter. Nach und nach füllte sich die Fläche mit bunten Wollstreifen und während ich in meine meditative Webarbeit vertieft war, kamen mir neue Ideen. Ich begann eine Kurzgeschichte zu schreiben, ich dachte mir ein Filmprojekt aus und ich begann, gemeinsam mit meinem Liebsten, mein Landhaus zu renovieren.
Wochenlang pendelte ich zwischen der stillgelegten Stadt und dem Leben auf dem Land, wo der Frühling die Natur zum Explodieren brachte und alles in Bewegung war.
Mit diesem Schwung nahm ich dann auch die Arbeit an einem Regionalprojekt wieder auf, das Corona in die Knie gezwungen hatte. Die halbfertige Lampe verschwand derweil in der Ecke. Das Projekt war gut und ich musste einfach weitermachen. Bezahlung? Sichere Perspektiven? Anerkennung durch andere? Spielten immer weniger eine Rolle. Ich war überzeugt von dem, was ich tat und schuf mir in den nächsten Monaten eine Umgebung, in der Leben und Arbeiten sich auf wunderbare Weise verbanden.
Natürlich gab es immer wieder herbe Rückschläge und die Förderung, die ich für mein Projekt beantragt habe, ist immer noch ungewiss. Trotzdem bin ich wild entschlossen, genau so weiterzumachen in den Post-Corona Zeiten, die hoffentlich bald anbrechen.

Das große Ganze
Während ich in den letzten Tagen über diese Veränderungen meines persönlichen (Arbeits-)Alltags nachdachte, fiel mir ein Buch von James Suzman in die Hände: Sie nannten es Arbeit. Eine andere Geschichte der Menschheit. James Suzman ist Anthropologe und als solcher betrachtet er das, was wir „Arbeit“ nennen aus einem sehr weiten Blickwinkel. Sein Ausgangspunkt ist die Zeit vor ca. 11.500 Jahren, als unsere Urahnen noch Jäger und Sammler waren. Um von dem zu leben, was die Natur hergab, brauchten die Menschen damals ungefähr 15 Stunden in der Woche. Der Rest war Freizeit. Dann kam die Landwirtschaft und damit die Sesshaftigkeit. Seitdem herrscht der Mensch über die Natur – auch über seine eigene. Damit begann für den Menschen nicht unbedingt ein besseres Leben, sondern ein Prozess der Anpassung an Marktbedürfnisse und Wettbewerbsbedingungen. Suzman stellt die These auf, dass ab dem Moment, in dem Menschen damit anfingen, ihre Energie auf den Anbau bestimmter Ackerprodukte zu konzentrieren, das Konzept der Arbeit eine Eigendynamik entwickelte. Klima-Schwankungen und Missernten sowie die wachsende Bevölkerung in den Agrargesellschaften sorgten für eine Verknappung der Ressourcen, was in der modernen Ökonomie als der wesentliche Grundantrieb menschlichen Wirtschaftens gilt.
Ihr ahnt, wo diese Geschichte hinführt und es geht mir hier nicht darum, das Prinzip des Höher, Weiter, Schneller, nachzuzeichnen, das im kapitalistischen Zeitalter mit der Industrialisierung in den Turbogang schaltete und mit der Globalisierung der Märkte durch die Digitalisierung in den letzten Jahrzehnten eine Dynamik entwickelte, die schwindelerregend ist und jeden und alles vereinnahmt.
Worauf es mir ankommt: Arbeit, wie wir sie kennen – als Selbstverwirklichung, als Wettstreit und als wesentliche Komponente der persönlichen Identität – ist kein Naturgesetz, sondern eine Logik des Marktes, der die Natur – die äußere Natur und unsere eigene – auffrisst.
In den Worten von Suzman:
„Es ist an der Zeit, eine Welt zu schaffen, in der Wachstumsideologie und Konsum nicht mehr unser Leben und unseren Planeten aussaugen. Dafür aber müssten die Menschen ihr Verhältnis zur Arbeit überdenken.“
Und:
„In allererster Linie geht es mir darum, den krakenhaften Klammer-Griff, mit dem die Knappheits-Ökonomie unser Arbeitsleben im Schwitzkasten hält, zu lockern und unsere damit verbundene, nicht durchhaltbare Fixierung auf wirtschaftliches Wachstum aufzubrechen.“
Man muss die Welt nicht als einen Ort sehen, an dem Wettbewerb ein Naturgesetz ist. Vielleicht lässt sich Suzmans Blick auf eine verlorene Vergangenheit ja für eine Zukunft der Arbeit mobilisieren? Weniger ist mehr.
Ich jedenfalls habe den „krakenhaften Klammergriff“ in der Pandemie und durch die Pandemie lockern können. Ich schlafe auch wieder besser.
Übrigens: Die Lampe ist am Ende doch noch fertiggeworden. Ich habe sie „Corona-Lampe“ genannt, ein Designobjekt, das zwar nicht ganz mit dem Barcelona Chair mithalten kann, aber für all das steht, was mich die Corona Zeit in puncto Freiheit und selbstbestimmtem Leben gelehrt hat.
