Neue Ideen sind wie Zahnpasta:
man kriegt sie nicht mehr zurück in die Tube.
Facebook hat vor wenigen Wochen ein Whitepaper veröffentlicht, in dem es beschreibt, wie es eine neue Weltwährung namens Libra schaffen will. Es soll eine virtuelle Währung werden, die weltweit einsetzbar ist.
Das Thema ist abstrakt und kompliziert, sodass sich viele, nachdem sie die Überschrift gelesen, lieber wieder den Katzenvideos zuwenden. Dabei haben wir es mit einem Entwurf von einer neuen Weltordnung unter der Herrschaft von Facebook zu tun, vor der gar nicht laut genug gewarnt werden kann. Mit diesem Blogeintrag will ich ein komplexes Thema so runterbrechen, dass es für uns Anfänger verständlich wird.
Libra – Facebook will Euro und Dollar ersetzen
Auf die technischen Details will ich nicht weiter eingehen. Wichtig ist, wie Libra verwendet werden soll: Es soll z.B. in Whatsapp integriert werden, sodass man mit einem Klick einem anderen Teilnehmer oder Verkäufer Geld zukommen lassen kann – so einfach wie eine Whatsapp-Nachricht zu schreiben. Abgesehen von WhatsApp soll das auch in Facebook, Paypal oder mit einer eigenen App möglich sein. Es soll einen stabilen Wechselkurs geben, der sich aus einer Mischung von Euro, US$, Pfund und anderen Währungen zusammensetzt. Man zahlt echtes Geld (z.B. Euro) in das eigene persönliche Libra-Portemonnaie (Wallet) ein und kann weltweit damit ohne weitere Kosten und zeitliche Verzögerung Geld überweisen oder erhalten – der Betrag ist sofort verfügbar. Ebenso ist es möglich, sich Libra jederzeit wieder in Euro auszahlen zu lassen.
Klingt toll! Erzähl mir mehr
Libra ist also sowohl eine neue Währung (als Ersatz für Euro, US$, usw…) als auch (mit dem Wallet) ein Ersatz für das Bankkonto, um Zahlungen vorzunehmen. Da alle Leistungen für die Nutzer kostenlos sein werden und alle Aufträge in Echtzeit durchgeführt werden, ist dies ein klassisch disruptives Geschäftsmodell. Heute Geld ins Ausland zu überweisen ist langwierig und teuer, mit Libra soll es kostenlos und ohne zeitliche Verzögerung möglich sein. Währungsrisiken werden minimiert, Kosten durch Wechselkurse, wie z.B. beim Einsatz von Kreditkarten im Ausland, entfallen. Hinzu kommt, dass Facebook mit einer Nutzerbasis von über 2 Milliarden Menschen aus dem Stand heraus eine Verbreitung vorweisen kann, wie kein Staat oder Währungsraum. Im nächsten Jahr (2020) soll es losgehen.
Schnell, kostenlos, einfach zu handhaben, für Milliarden Menschen weltweit – das alles ist ein tolle Idee: die Zahnpasta ist aus der Tube!
Klingt supi, was soll da schon schief gehen? Alles!
Nein! Doch! Oh!
Facebook ist groß geworden als Plattform, die von Netzwerkeffekten profitiert. Im Internet etabliert sich eine Plattform, weil der Mehrwert für neue Nutzer umso größer ist, je mehr Nutzer die Plattform verwenden. Das hat man schon bei eBay, Whatsapp, Instagram, Uber, AirBnB, Google oder Amazon erlebt. Facebook agiert schon heute wie ein Staat mit riesiger Einwohnerzahl, eigenen Gesetzen (Richtlinien), eigener Polizei (Moderatoren) und eigenen Diplomaten. Welche Beiträge erlaubt sind oder was nicht, bestimmt Facebook nicht nach nationalem Recht, sondern nach Gustus: Waffen, Verschwörungen und Neonazis sind erlaubt, Nippel aber nicht. Der Börsenwert von Facebook ist heute schon 30% höher als der gesamte deutsche Bundeshaushalt 2019.
Mit der eigenen Währung Libra könnte die gleiche Netzwerk-Dynamik in dem bislang unterentwickelten Bereich des Zahlungsverkehrs stattfinden. Zahlungsvorgänge, also einen Geldbetrag von hier nach da zu transferieren, sind in vielen Bereichen der Welt mühsam und teuer. Vielleicht denken da viele an die dritte Welt, aber der größte Markt liegt viel näher: die USA. Bis heute ist das Zahlungswesen in den USA anachronistisch vorsintflutlich. Noch heute werden in den USA jährlich 18 Milliarden(!) Papierschecks ausgestellt, z.B. als Lohnzahlung oder um eine Telefonrechnung zu begleichen! Das ist nicht nur teuer und ineffektiv, sondern dauert auch Tage bis zur Buchung. Auch wenn in Europa der Zahlungsverkehr zuverlässig und unkompliziert ist, in der restlichen Welt ist es mitunter sehr mühselig. Hinzu kommt, dass in vielen Ländern der Erde die Währungen instabil sind. In diesen Ländern wäre Libra eine willkommene und einfache Alternative zum lokalen Zahlungsverkehr: Convenience Counts.
Der Teufel scheißt immer auf den größten Haufen
Währungen leben von der Akzeptanz, also Verbreitung. Mit Libra könnte der nächste Netzwerkeffekt eintreten: Je mehr Menschen Libra verwenden, desto größer ist der Nutzen für neue Teilnehmer ebenfalls Libra zu verwenden. Libra wäre die neue universell einsetzbare Weltwährung und könnte damit den US$ als Leitwährung ablösen. Zudem könnte es auch den Auftrag der Banken im Zahlungsverkehr überflüssig machen, denn so schnell und kostenlos kann keine lizenzierte Bank (außerhalb des Euroraums) Zahlungen durchführen.
Diese Gefahr des neuen Facebook-Monopols ist kein Geheimnis, Facebook selber versucht von Anfang an alle Zweifel zu zerstreuen. So soll Libra nicht von Facebook alleine sondern von einer Gruppe von knapp 30 gleichberechtigten Firmen geführt werden. Zu den Gründungsmitgliedern gehören Firmen wie Ebay, Booking, Uber, Spotify, Mastercard, Paypal, Visa, Vodafone u.a.. Aber was alle auch wissen: sollte Facebook aus dieser Gruppe aussteigen wäre das Projekt sofort mausetot. Bei den beteiligten Firmen sind zwei Sachen auffällig: Bis auf Spotify (schwedisch) sind alle Firmen US-amerikanisch. Zweitens: Interessant ist, welche Firmen nicht dabei sind, nämlich die größten Firmen der Welt: Amazon, Apple, Microsoft, Google, Twitter und alle Banken. Das spricht dafür, dass Facebook der Plattformeffekt bewusst ist und gewollt ist: Facebook möchte die Weltherrschaft über unser Geld. Der Ansatz, den das Unternehmen verfolgt, ist offensichtlich. Denn mit der Kontrolle über eine Weltwährung, wird den bestehenden politischen Strukturen, den Staaten ihre Gestaltungs- und Regulierungsmacht genommen.
Wie gefährlich das Projekt ist, kann man auch daran erkennen, wie schnell und deutlich die Reaktionen waren. Alle Notenbanken, ob aus USA, Europa, Australien oder UK, haben sofort reagiert. In den USA wurde der zuständige Vertreter von Facebook vor den Kongress zitiert, China hat jegliche virtuellen Währungen schlichtweg verboten und andere Zentralbanken haben deutlich gemacht, dass sie das so nicht genehmigen werden. Allerdings: In den USA kann Libra nicht verboten werden, denn die Firmengruppe wird ihren Hauptsitz in der Schweiz haben…
Die weitere Entwicklung in den nächsten Monaten wird sehr spannend, denn es geht um nichts anderes als um die Weltherrschaft über das Geld und der Geldflüsse. Die Vorzüge einer virtuellen Währung liegen auf der Hand. Aber wollen wir, dass ausgerechnet Facebook Hüter unseres Geldes ist? Die traditionellen Banken haben sich in den letzten Jahrzehnten ihr eigenes Grab geschaufelt und buddeln da unten gerade fleißig weiter. In einigen Staaten sind Populisten eifrig dabei, ein Vakuum zu schaffen, dass Facebook sofort gerne bereit ist zu füllen. Wenn wir nicht wollen, dass Facebook die neue Über-Währung schafft, müssen andere vertrauensvollere Akteure eine Alternative schaffen.
Denn so viel ist klar: Die Zahnpasta kann man nicht mehr zurück drücken.