Irgendwas ist immer. In Berlin allemal. Die Terminkalender sind voll und wir alle haben mit Job, Familie und Freunden ohnehin genug zu tun. Mit zunehmendem Lebensalter wächst zudem die Trägheit, um all den aufgeregten News der innovationshungrigen Hauptstadt noch mit ausreichend Frische und Neugier zu begegnen. Man hat sich gut eingerichtet und alles ist gut, so wie es ist.

Oder nicht?

Frieder und ich haben uns diese Frage gestellt und beschlossen, den Fliehkräften der Metropole und unseren eigenen Trägheitsgesetzen ganz waghalsig mit einem Fixstern-Termin zu begegnen. Wir wollten einen Ort schaffen, an dem Freundinnen und Kolleginnen einmal im Monat in privatem Kreis zusammenkommen können, um über die wichtigen und unwichtigen Dinge des Lebens zu reden. Und so schickten wir eine Rundmail an unsere Freundinnen und Kolleginnen.

Das war die Geburtstunde des OPEN FRIDAY.

Inzwischen hat der OPEN FRIDAY zweimal stattgefunden und die Resonanz ist prächtig. Der erste Abend endete nachts um halb drei, der zweite war, auch urlaubsbedingt, etwas ruhiger. Offenbar haben wir mit dem Format einen Nerv getroffen.

Bei aller Lässigkeit, die den Reiz des Neuen ausmacht, wurde schnell deutlich, dass eigentlich alle Beteiligten bestimmte Erwartungen mit der Initiative verbinden. Viele haben das Bedürfnis, Meinungen auszutauschen, Themen zu diskutieren und Erfahrungen zu teilen und das an einem Ort, der ausreichend privat ist aber gleichzeitig ganz unterschiedliche Menschen zusammenbringt, die sich kennen oder auch nicht. Manche haben das Bild eines „Salon“ im Kopf, bei dem man sich intellektuell-inspiriert über ein vorab definiertes Thema austauscht, andere denken einfach an ein kultiviertes after-work-Event unter Freunden und wieder andere verbinden OPEN FRIDAY mit der Vorstellung einer monatlichen Party.

Tatsächlich hat der OPEN FRIDAY von alldem etwas und will doch etwas anderes, ganz eigenes sein. Aber was genau?

 

Collaboration, Comfortzone, Creativ, Cool …?!

Uns schwebt etwas vor, das ein bisschen den Glamour der fin-de-siecle Caféhauskultur ausstrahlt verbunden mit einer Prise Salon, wo sich intellektuelle Schärfe mit dem popkulturellen Faible für Oberflächen mischen kann. Das alles gepaart mit einer dicken Portion Kreuzberger Normalität. Hört sich widersprüchlich, unmöglich oder größenwahnsinnig an? Genau!

Jedenfalls ist uns klar geworden, dass wir mit der Initiative etwas angestoßen haben, das ausgestaltet werden will. Was ist unsere Rolle in diesem Gestaltungsprozess? Sind wir einfach nur Gastgeber oder sind wir Moderatoren oder Impulsgeber? Wieviel Co-Kreativität braucht das Format, um sich fruchtbar weiterzuentwickeln? Sollten wir als Gastgeber klare Vorgaben hinsichtlich Themen und Struktur des Abends machen oder verstehen wir uns eher als Kuratoren von Ideen unserer Gäste? Außerdem treibt uns die Frage um, ob es vielleicht Schwerpunktthemen geben sollte, die den OPEN FRIDAY über einen oder auch mehrere Abende mit Thesen und Fragestellungen begleiten. Hier könnten zusätzliche Buchpräsentationen oder Kurzvorträge einen Rahmen für die Diskussion schaffen.

Das Projekt ist ein work in progress. Trotzdem zeichnete sich bereits am ersten Abend eine zentrale Frage ab, die uns alle umtreibt:

 

Wie wollen wir in Zukunft leben?

Viele fühlen sich abgestoßen von einer Politik, die angesichts der komplexen Herausforderungen unserer Tage kaum Gestaltungskraft oder gar Visionsfähigkeit beweist. Anstelle längst überfällige Alternativen zum herrschenden Wachstumsparadigma zu diskutieren, flüchten sich die etablierten Parteien ins verwalterische Klein-Klein; Besitzstandsdenken und Lobbyismus erstickten alle systemrelevanten Veränderungsprozesse im Keim. Soweit so bekannt.

Am Beispiel der Fridays for Future-Bewegung kam dann Leben in die Diskussion. Wenn die Jugendlichen für ihre Zukunft auf die Straße gehen, was tun wir, die 50-somethings? Angesichts der biologischen Fakten (Endlichkeit unserer Lebensspanne) kann man davon ausgehen, dass die gravierenderen Auswirkungen des Klimawandels unsere Generation nur noch am Rande betreffen werden. Aber die meisten von uns haben Kinder, und selbst wenn nicht: Ist es verantwortlich wenn wir, die es sich eigentlich leisten können, noch immer den Schimären unserer Wohlstandsgesellschaft hinterherhecheln? Schicke Wohnung, schicker Job in einer Company, die möglichst auch am großen Rad mitdreht, dicker SUV vor der Tür und möglichst in jedem Jahr 2-3 Fernreisen? Sollten wir nicht nach lebbaren und wünschbaren Alternativen zum Höher-Schneller-Weiter Ausschau halten? Gerade wir, die wir eigentlich nichts mehr zu verlieren haben – Kinder und Karriere sind gemacht (und wenn nicht, wird daraus sehr wahrscheinlich ohnehin nichts mehr) – könnten jetzt etwas mutiger werden.

Wie wäre es, wenn wir aus der Rückspiegelperspektive eines halben Jahrhunderts Leben und getragen von der geballten Kraft und Kompetenz unserer Erfahrungen, Niederlagen und Erfolge nach vorne springen würden, um eine Zukunftslandschaft von überraschenden Möglichkeiten jenseits der persönlichen Komfortzonen zu entdecken und gestalten? In den Worten von Rüdiger, meinem lieben Kollegen und Gast des OPEN FRIDAY wäre das ein Shift vom 2D-Denken in Linearitäten und wenn-dann-Logiken hin zu einem 5D-Denken in komplexen Zusammenhängen und Wechselwirkungen.

In den kommenden Wochen und Monaten wollen wir uns also unter dem großen Dach der Frage “Wie wollen wir in Zukunft leben?” der 5D-Perspektive annähern und Themen diskutieren, die uns beschäftigen.

Das Leben ist wie ein Blätterteig: viele Schichten mit viel Luft und Platz für Marmelade