Ein Interview mit Daniela Feilcke-Wolff
Sie ist Tangotänzerin, Tangolehrerin, TangoDJane und Spezialistin für Alexandertechnik. Während ihrer Ausbildung verzichtet sie auf die klassische weibliche Rolle und tanzt zunächst ausschließlich in der Rolle der Führenden – was gerade im Tango bis heute eher ungewöhnlich ist. Bei diversen Studienaufenthalten in Buenos Aires spürt sie den kulturellen Wurzeln des Tangos nach und widmet sich dem Tanz als Medium der Körper-Kommunikation. Heute betreibt sie zusammen mit ihrem Partner von Berlin aus eine „Flying Tango School“ an verschiedenen Orten von Island bis Stromboli.
Ich habe Daniela Feilcke-Wolff bei einem Tango-Workshop kurz vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie kennengelernt. Mich faszinierten die Parallelen zwischen ihrer Arbeit als Tanzlehrerin und meiner als systemische Beraterin für Organisationsentwicklung. Als dann der Lockdown kam, beschlossen wir, die Zwangspause für einen intensiveren Gesprächsaustausch zu nutzen.
Daraus entstand das folgende Interview über Führung, antrainierte Rollenbilder und die Frage, warum Tanzen ein wunderbares Agilitätstraining sein kann.
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Du bist Vollblut-Tänzerin und Lehrerin seit mehr als 20 Jahren. Warum gerade Tango?
Ich habe mit Latino-Tänzen angefangen und in diesem Kurs machte unser Tanzlehrer dann irgendwann einen Abend Tango Argentino mit uns. Das war ein Aha-Erlebnis für mich. Alles fühlte sich viel freier an, weniger festgelegt als ich das von anderen Tanzstilen gewohnt war. Normalerweise ist Führung im Tanz gekoppelt an bestimmte Schritte oder Figuren. Im Tango kommt zuallererst der Kontakt, oder besser gesagt: das Aufbauen eines Kontaktes zwischen Führendem und Geführtem. Führung im Tango bedeutet, in jedem Moment klare Entscheidungen treffen zu müssen. Diese Form der Klarheit mit sich und dem Tanzpartner ist für mich das eigentlich Besondere am Tango.
Und wie ging es dann nach diesem Aha-Erlebnis für dich weiter?
Mein damaliger Mann hatte keine Lust auf Tango. Aber es gab ein schwules Pärchen in unserem Kurs, bei dem auch einer zum Tango wechseln wollte. Und so haben wir uns zusammengetan. Mein Tanzpartner hatte nur eine Bedingung: er wollte auf keinen Fall führen. Mir war es damals völlig egal, ob ich die Rolle der Führenden oder der Geführten übernahm. Ich hätte auch zu dritt getanzt, oder alleine. Hauptsache es ging los!
Das heißt, du hast Tango in der klassischen Männerrolle gelernt?
Ja, so sind wir gestartet: Ich als Führende, er als Folgender. Für mich tat sich ein Universum auf. Ein Universum der zwischenmenschlichen Interaktion. Führen und Geführtwerden, Männer und Frauen. Ich rede jetzt nicht unbedingt von biologischen Männern oder Frauen sondern viel eher von antrainierten Rollen und Verhaltensmustern. Männer verhalten sich im Folgen anders als Frauen. Jedes Geschlecht bringt das Eigene mit. Frauen sind eher defensiv, sie entschuldigen sich dauernd, haben sofort das Gefühl etwas falsch zu machen. Männer treten ganz anders auf: Fehler? Ach was, ich doch nicht. Fehler machen immer die Anderen.
Und wie ging es dann nach diesem Aha-Erlebnis für dich weiter?
Mein damaliger Mann hatte keine Lust auf Tango. Aber es gab ein schwules Pärchen in unserem Kurs, bei dem auch einer zum Tango wechseln wollte. Und so haben wir uns zusammengetan. Mein Tanzpartner hatte nur eine Bedingung: er wollte auf keinen Fall führen. Mir war es damals völlig egal, ob ich die Rolle der Führenden oder der Geführten übernahm. Ich hätte auch zu dritt getanzt, oder alleine. Hauptsache es ging los!
Das heißt, du hast Tango in der klassischen Männerrolle gelernt?
Ja, so sind wir gestartet: Ich als Führende, er als Folgender. Für mich tat sich ein Universum auf. Ein Universum der zwischenmenschlichen Interaktion. Führen und Geführtwerden, Männer und Frauen. Ich rede jetzt nicht unbedingt von biologischen Männern oder Frauen sondern viel eher von antrainierten Rollen und Verhaltensmustern. Männer verhalten sich im Folgen anders als Frauen. Jedes Geschlecht bringt das Eigene mit. Frauen sind eher defensiv, sie entschuldigen sich dauernd, haben sofort das Gefühl etwas falsch zu machen. Männer treten ganz anders auf: Fehler? Ach was, ich doch nicht. Fehler machen immer die Anderen.
Das war vor mehr als 20 Jahren. Wie kam deine „Männerrolle“ im Tango denn damals an?
Das war damals tatsächlich noch sehr ungewöhnlich. In den ersten Jahren meiner Ausbildung in der Rolle der Führenden war ich die einzige in der Berliner Tango-Szene. Natürlich gab es auch andere Frauen, die geführt haben, aber es gab eben keine, die ausschließlich geführt hat, so wie ich. Irgendwann wollte ich dann allerdings auch die andere Seite kennenzulernen. Das bisschen Geführt-Werden kann ja wohl nicht so schwer sein, dachte ich damals etwas überheblich. Doch ich täuschte mich gewaltig, Folgen war komplett anders! Es war zwar derselbe Tanz und dieselbe Musik und es waren irgendwie auch ähnliche Bewegungen, aber trotzdem eine ganz neue Welt.
Inwiefern unterscheiden sich beide Rollen und was charakterisiert ihre Beziehung?
Das hat sehr viel mit nonverbaler Kommunikation zu tun, also einer Kommunikation die direkt mit und zwischen den Körpern passiert. In dem Moment, in dem ich als Führende in eine Richtung denke, sendet mein Körper entsprechende Signale aus. Das geschieht ohne den Kopf, die Muskeln unterhalten sich miteinander. Das heißt, wenn ich einen Schritt nach vorne machen will, dann sendet mein Gehirn ein Signal an die Muskulatur. Und genau in diesem Moment findet die Übertragung auf den anderen Körper statt. Das funktioniert ganz unmittelbar.
Könnte man das Energieübertragung nennen?
„Energie“ ist immer so ein besetzter Begriff – gerade in unserem Metier. Ich würde es ganz konkret als Muskel-Übertragung bezeichnen. Die eine Muskulatur signalisiert „nach vorne“ und die andere sendet zurück „ok, ich gehe nach hinten“. Das Verrückte ist, dass das eigentlich ganz einfach ist: Körper kommunizieren, man muss sie nur lassen. Das fällt den meisten Menschen wahnsinnig schwer.
Das heißt, es geht auch auf der körperlichen Ebene darum, zuhören zu können?
Ja, das Hirn so weit abstellen, dass nur der Körper spricht und zuhört. Es geht um Körper-Kommunikation. Das ist die Kunst beim Tanzen.
Vor ein paar Tagen habe ich ein Interview mit Anselm Grün gelesen, dem Benediktinerpater und Managerberater, der sich aus spiritueller Sicht seit Jahrzehnten intensiv mit Fragen von Führung beschäftigt. Dort habe ich den schönen Satz gefunden „Führen heißt, dienen können“.
Genauso ist es auch im Tanz. Führen und Folgen sind wechselseitig aufeinander bezogen. Am Ende entscheidet der Folgende mit, wo es hingeht und der Führende wird getragen von der Qualität, die der Folgende in den Tanz einbringt.
Gibt es denn ganz klassische Merkmale für Führung im Tango?
Der Führende gibt immer die Richtung vor, entweder vorwärts oder rückwärts, seitwärts nach rechts oder seitwärts nach links und dann noch zirkulär in die eine oder die andere Richtung gedreht. Insgesamt sind es sechs Richtungen, in denen sich die Tänzer gemeinsam bewegen.
Der Führende entscheidet wohin: welche Richtung wollen wir einschlagen?
Das Wann entscheidet die Musik, je nachdem was sie dir anbietet. Die Musik ist wie eine große Obstwiese, da gibt es Kirschen und Äpfel und Birnen und man geht da so durch und nimmt sich etwas aus dem Angebot. Wenn es optimal läuft, empfinden die beiden Tänzer die Musik und den Rhythmus gleich und dann spüren beide den Moment und setzen den nächsten Schritt zusammen.
Das Wie entscheiden die Folgenden: in welcher Qualität tanze ich? Gehe ich legato oder staccato? Fange ich den Schritt schnell an und höre langsam auf oder umgekehrt? Das sind qualitative Aspekte und die Entscheidung darüber liegt mehr bei den Folgenden.
Der Einfluss des Geführten auf die Qualität ist also größer als der des Führenden?
Ja definitiv, und das fasziniert mich immer wieder. Wenn beispielsweise eine führende Person versucht, Qualität in den Tanz zu bringen, weil vielleicht die folgende Person einfach nur mitschlurft und keine eigene Qualität einbringt, dann hat das kaum Einfluss auf die Folgende. Die Qualität überträgt sich nicht. Andersherum jedoch, wenn die führende Person eher gleichförmig und uninspiriert übers Parkett schiebt, der Tanzpartner jedoch Qualität hineinbringt, dann kann der führende Körper nicht anders, als mit dieser Qualität mitzugehen. Diese Übertragung geschieht teilweise ohne dass die beiden Tänzer das merken. Aber sie funktioniert eben nur in eine Richtung.
Interessant, woran liegt das? Fehlen dem Führenden dafür die Werkzeuge?
Keine Ahnung. Eigentlich dürfte es nicht so sein. Für mich ist das ein Phänomen. Ich habe noch nicht herausgefunden, woran das liegt.
Im traditionellen Tango sind die Rollen ganz klassisch besetzt: Der Mann führt, die Frau folgt. Kann diese unterschiedliche „Übertragungsintensität“, von der du sprichst, vielleicht auch mit diesen Rollenklischees zusammenhängen?
Nein. Für meine Statistik mache ich diesen Versuch oft ausschließlich mit Frauen. Das Ergebnis bleibt das gleiche: In der Rolle der Folgenden bekomme ich auch noch den lahmsten Führenden dazu, mit mir Staccato zu laufen. Aber wenn ich das als Führende mit einem etwas uninspirierten Tanzpartner versuche, überträgt sich diese Qualität nicht auf unseren gemeinsamen Tanz.
Möglicherweise hat es etwas mit Vertrauen zu tun, beziehungsweise mit der Angst, etwas falsch zu machen oder die Kontrolle zu verlieren?
Ich versuche in meinem Unterricht von Anfang an eine angstfreie Atmosphäre zu erzeugen. Die Menschen, die zu mir kommen, um Tango zu lernen, sollen vom ersten Tag an erleben, dass es hier nicht um richtig oder falsch geht oder darum, wer am schnellsten am besten Tangotanzen lernt, sondern viel eher darum, das Hören und Zuhören mit und zwischen Körpern zu üben.
Die ersten Unterrichtsstunden sind dafür sehr wichtig. Einer meiner frühen Lehrer hat das mal den „Blueprint“ für das weitere Vorankommen genannt. Und dementsprechend versuche ich, zunächst einmal einfach den Spaß und die Freude an der gemeinsamen Bewegung und an der Musik in den Mittelpunkt zu stellen. Denn die Menschen kommen ja zu mir, weil sie Lust auf Bewegung haben, weil sie mehr Zeit mit ihrem Partner verbringen wollen und nicht, weil sie Angst davor haben, irgendetwas falsch zu machen. Ich versuche deshalb, in meinen Kursen genau diese Lust und Freude aufzunehmen und zu erhalten.
Und funktioniert das?
Interessanterweise kommen fast all meine Gruppen irgendwann nach den ersten 3-4 Stunden dann doch an den Punkt, wo sie Angst bekommen. Die Männer, weil sie denken, nun langsam etwas bieten zu müssen, oder weil sie die Figur von der letzten Woche schon wieder vergessen haben. Und die Frauen, weil sie Angst haben, dass sie die Signale nicht verstehen.
Mein Ziel ist es, diese Ängste aus meinen Kursen rauszuhalten. Ich möchte, den Menschen die zu mir kommen, um Tango zu tanzen, ein Urvertrauen vermitteln in ihre Körper, in ihre Bewegungen, in das Miteinander im Tanz und die Schönheit, die dabei entsteht. Darum geht es doch.
Viele der von dir angesprochenen Aspekte beim Tango erinnern an die aktuellen Debatten um Führung und Agilität in Organisationen, wo es um die Auflösung von hierarchischen Führungsrollen und die Fähigkeit zur Selbstorganisation geht. Besonders interessant finde ich in diesem Zusammenhang deine Beschreibung der fluiden Rollen im Tango: Führender und Geführter sind keine Gegensätze, sondern miteinander verwoben. Das heißt, der Führende hat immer auch eine folgende Komponente und der Folgende setzt durchaus Impulse, die vom Führenden übernommen werden. Das ist ein Modell, das mir für nicht-hierarchische Führungsansätze wie auch als Bild für Selbstorganisation sehr brauchbar erscheint.
Ich kenne mich nicht aus mit New Work. Und Agilität ist für mich alles, was in Bewegung ist. Für mich jedenfalls ist der perfekte Tango, wenn die Rollen komplett aufgelöst sind. Wenn es keine Führende und keine Folgende mehr gibt, sondern wenn „es“ tanzt. Ich weiß, das klingt jetzt ziemlich esoterisch, aber ich habe noch keine passendere Formulierung gefunden. ICH FÜHRE NICHT – diese Idee möchte ich immer mehr in meinen Unterricht einbringen. Ich möchte vermitteln, dass es weder Führende noch Folgende gibt, sondern nur zwei, die tanzen. Und die Entscheidung wohin und wie wir tanzen, treffen wir beide.
Paula
10. Oktober 2020 — 15:59
Liebe Anja,
Das ist ein schönes und überaus interessantes Interview. So sollte es doch im Leben sein, im Zusammenleben. Es gibt die Führenden und die Folgenden, doch sie verweben sich miteinander, das Führen ergibt sich aus dem Folgen und umgedreht. Das ist ein schöner, anregender Gedanke
Anja
10. Oktober 2020 — 16:23
Liebe Paula, ja, das finde ich auch. Das „Verweben“ ist ein schönes Wort dafür, danke!