Notizen aus Hongkong
Wieder in Hongkong. Wie jeden Herbst. Inzwischen fühlt sich die Stadt schon ein wenig wie zuhause an. Die Touristenattraktionen sind alle besucht, viele der Wanderwege rings um Hongkong haben wir schwitzend erlaufen; wir kennen die schönsten Strände auf den ringsum liegenden Inseln, die besten Stände auf den Straßenmärkten und wir wissen, wo unsere Lieblings-Fake-Brands zu finden sind.
Genug Zeit also, um ausgiebig Zeitung zu lesen. Zumal es in diesem Jahr aufgrund der Unruhen besonders interessant ist, was lokal berichtet wird – und was nicht.
Und so haben wir aus unseren Zeitungslektüren der letzten Tage ein paar Fundstücke zusammengestellt, in denen sich die Paradoxien und Gigantomanien, die Licht- und Schattenseiten einer hochgeschwindigkeitsdynamischen, technologiebegeisterten und sich wandelnden Gesellschaft widerspiegeln.
1. Es gibt jetzt Graffitis in Hongkong. Die Protestbewegung macht‘s möglich. Zwar bemühen sich die Authorities, alle Spuren möglichst schnell zu beseitigen, aber als Teil einer sich gerade neu formierenden kulturellen Identität wird Street Art auf Dauer nicht mehr auszulöschen sein.
2. In der vergangenen Woche wurde der teuerste Parkplatz der Welt verkauft. Für 750.000 € in einer Tiefgarage in Hongkong.
3. Shenzhen, ca. 50 km im chinesischen Hinterland von Hongkong gelegen, wächst und wächst und wächst. Die Immobilienpreise haben inzwischen Hongkong überrundet und angesichts der Agglomeration von Techfirmen sprechen viele inzwischen vom „Silicon Valley Chinas.“ Im Zuge dieser Entwicklungen hat die Stadtverwaltung von Shenzhen nun angekündigt, 1 Mio. neue Wohnungen bis 2035 zu bauen. 40.000 wurden in diesem Jahr bereits fertiggestellt, künftig sollen es ca. 60.000 jährlich werden.
4. China produziert in den kommenden fünf Jahren 8-9 Mio. Universitätsabsolventen jährlich. 50% davon haben ihren Abschluss in den Natur- und Technikwissenschaften gemacht. Das bedeutet, dass jedes Jahr 4 Mio. chinesische STEM-Absolventen den technologiehungrigen Arbeitsmärkten zur Verfügung stehen (STEM steht für Science, Technology, Engineering, Mathematics). Das sind mehr als in den USA, Europa, Südkorea und Japan zusammengenommen!
5. Aufgrund der Proteste sind die Touristenzahlen seit August in Hongkong um mehr als 30% gefallen. Hoteliers sprechen sogar von einem Rückgang um 50 %. Vor allem die chinesischen Touristen – mit 80% die weitaus größte Gruppe der Hongkongbesucher – bleiben der Stadt fern. Das führt zu empfindlichen Einbußen, denn bislang war es vor allem der neue chinesische Mittelstand, der gerne in den teuren Hotels residiert und den Luxus-Labels der Stadt Umsätze beschert hat. Deshalb hat sich die Hongkonger Regierung nun eine Art Kopfgeld einfallen lassen, um den Touristenstrom wieder anzukurbeln. Reiseveranstalter und Agenturen erhalten 120 HK$ für jeden Besucher, der über Nacht bleibt bzw. 100 HK$ für jeden Tagestouristen.
6. Hongkong hat die höchste Lebenserwartung weltweit! Eine aktuelle UN-Statistik prognostiziert für die 2016 geborenen weiblichen Babies in Hongkong eine durchschnittliche Lebenserwartung von 87,3 Jahren; Jungen dürfen sich auf ein langes Leben von durchschnittlich 81,3 Jahren freuen. Damit schlägt Hongkong die bisherigen Alters-Champions Japan und Italien.
7. Hongkong ist bekanntermaßen die Stadt der LED-Werbeflächen. Nun bekommt sie ein ganzes Gebäude, das als Screen funktioniert – und zwar als Projektionsfläche für Kunst. M+, das von Herzog & de Meuron entworfene neue Museum für zeitgenössische Kunst, das 2020 eröffnet werden soll, präsentiert sich der Stadt mit einem riesigen, über 13 Stockwerke reichenden LED-Screen, der ausdrücklich künstlerischen Botschaften vorbehalten ist.