Rickie Lee Jones – Kicks

Heute will ich über Musik schreiben.

Das ganz große Internetz spült mir immer wieder alle möglichen Themen und Überschriften ins Haus, manche interessanter, die meisten nicht. Neulich stolperte ich über das neue Album von Rickie Lee Jones. Rickie Lee Jones, die kenne ich doch? Sie hat ein neues Album veröffentlicht, finanziert per crowd-funding, den Strukturen der Plattenfirmen wollte sie sich nicht mehr aussetzen. Sie war doch eine Koryphäe der Pop-Kultur, eine der schillerndsten Figuren des letzten Jahrhunderts! Ja, das ist lange her, bei mir schlägt der Puls schneller wenn ich ihren Namen lese, aber die meisten kennen sie wahrscheinlich nicht.

Mit Rickie Lee Jones (RLJ) verbindet mich eine pubertäre, jugendliche Intimität. 1979 lebte ich in einer WG, zarte 17 Jahre jung damals. Eines Tages spielte jemand in dieser WG dieses Album von RLJ und ich war vom ersten Moment begeistert. Das Lied hieß „Chuck E‘s in Love“. Auf dem Cover war eine hinreißende Frau abgebildet, mit gewagter Mütze und lässigem Zigarillo, ein perfektes Sehnsuchtsbild für einen schüchternen 17-jährigen. Sie war natürlich unerreichbar, denn sie war schon 24 Jahre alt, also richtig erwachsen und so.

Entsprechend neugierig war ich auf das neue Album von ihr. Sie ist heute 64 Jahre alt, lebt mehr recht als schlecht von ihrer Musik und hat ein sehr hörenswertes Album veröffentlicht. Es ist vielseitig, lässt sich nicht in irgendeine Kategorie einordnen. Und um die Musikindustrie hat sie einen großen Bogen gemacht, indem sie die Finanzierung über ein crowd-funding realisiert hat. Es heißt “Kicks”.

Was ich nicht wusste, bevor ich angefangen habe diesen Text zu schreiben, war ihre Geschichte.

Gegen Ende der 70er des letzten Jahrhunderts waren die Plätze in der ersten Reihe der Singer-Songwriter bereits vergeben: Crosby, Stills, Nash & Young, Jackson Browne, James Taylor,Joan Baez, Joni Mitchell, usw. Sie war etliche Jahre jünger als die arrivierten Hippies und hatte andere Ideen, wie Singer-Songwriting gehen könnte.

“The singer-songwriter took over the pop craft in music, but my first love is a good pop song.”

Das Geständnis der Liebe zu einem guten Pop-Song kam damals nicht so richtig gut an, alle waren ja damit beschäftigt, Musik mit etwas Politischem zu kolorieren. 10 Jahre nach ‘68 war dies aber inzwischen ein elitärer Club geworden, mit dem sie nichts zu tun haben wollte. Die Lieder auf dem besagten ersten Album waren lebendig und persönlich, passten trotzdem in keine Schublade. Nicht nur ich war begeistert von dem Album, sie wurde über Nacht ein Star. Grammy für die beste Newcomerin, etliche Preise, Nr. 3 in der amerikanischen Billboard 100, “Chuck E’s in Love” in den Top 10 der US-Charts, und auf dem Cover des Rolling Stone, (fotografiert von Annie Leibowitz). Das nächste Album “Pirates” lief auch ganz gut, inzwischen lebtesie mit ihrem damaligen Partner Tom Waits.

RLJ war berühmt und erfolgreich, trotzdem blieb sie weiterhin neugierig , experimentierte mit anderen Musikstilen: Elektronische Musik, Jazz, Coversongs, Folk. Über 20 Alben hat sie in den letzten 40 Jahren veröffentlicht, jedes Mal ein kleine Überraschung, die keinerlei Erwartungen erfüllt hat. Ständige Bewegung ist ihr Mantra, sowohl im Kopf als auch physisch. “I’ve always liked to run away,” wird sie im Rolling Stone von 1979 zitiert, “It’s my favorite thing to do.” Bewegung und Veränderung, der Grat zwischen Rastlosigkeit und Flucht ist schmal.

Ihr Großvater war ein Vaudeville Dancer mit dem Namen Peg Leg Jones. Ihr Vater war ein Musiker und Schauspieler, der ihr die Liebe zur Musik seit ihrer Kindheit vorgelebt hat. Zum Lebensunterhalt musste er reisen, am einfachsten wenn er auf die Frachtzüge aufsprang. In ihrer Kindheit ist sie ständig umgezogen. Sie wurde in Chicago geboren, lebte in Phoenix, Los Angeles und Olympia, Wash., alles bevor sie 13 Jahre alt war.

Mit 14 ist sie das erste Mal abgehauen: sie und eine Freundin “borgten” sich das Auto des Nachbarn und fuhren von Phoenix nach L.A. Vier Jahre später zog sie nach L.A. ohne jeden Plan, und traf dort Chuck E. Weiss und Tom Waits. Wenn sie Glück hatte, gab es eine Couch zum Übernachten, ansonsten versuchte sie sich über Wasser zu halten mit Kellnerjobs und schrieb das eine oder andere Lied. 1979 ging dann alles ganz schnell: Lowell George (Frank Zappa, Little Feat, Grateful Dead, u.a.) hörte ihr Lied “Easy Money” und veröffentlichte es auf seinem Album. Schlagartig war sie berühmt, the rest is history.

40 Jahre später sitzt sie in New Orleans in ihrem Garten und scheint zur Ruhe gekommen zu sein. Sie liebt Hunde, geht nachmittags in den Garten ihres Lebensgefährten, um die Pflanzen zu gießen. Die neue Liebe hat sie wieder neu inspiriert, sagt sie. “In New Orleans sind die Menschen freundlich, sie grüßen Dich.”

Die Rastlosigkeit weicht der Altersmilde, und das hört man diesem neuen Album an. Es sind nur Cover-Versionen, allerdings von Liedern, die sie früher, also ganz früher gehört hat. Das jüngste ist von 1973, andere nochmal 50 Jahre älter. Sie hat sie damals im Radio gehört, oder ihre Eltern haben sie gespielt. Es ist eine sehr persönliche Auswahl von Liedern, die eigentlich nichts verbindet, außer dass RLJ einen Bezug dazu hat. Genau das macht es aber besonders. Es ist wie damals 1979 der persönliche, individuelle Ansatz, der es der/m Hörer/in ermöglicht, für sich selber einen Zugang zur Musik zu finden. Wie sie sagt: “Most of my music demands that you stop and pay attention. This one, I wouldn’t really be upset if you listened to it while you were doing something else.”

Was mir imponiert, und was ich auch gerne für mich bewahren bzw. erreichen würde, ist die selbstreflektierende Haltung: Es ist OK, was gewesen ist und heute tu ich so, als wenn ich wieder bei 0 anfange. Natürlich ist es nicht so: wir schätzen unsere Erfahrungen und werden (hoffentlich) die begangenen Fehler nicht wiederholen. Und manchmal ist das, was einfach scheint, das Schwierige:

Wenn ich nicht genug eigene Lieder habe, ist es eine viel größere Herausforderung, Lieder von anderen zu spielen.

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