“This is your digital life” (Auflösung erst am Schluss)

Vor ungefähr zehn Jahren habe ich mich bei Facebook angemeldet, ich weiß nicht mehr warum. Wahrscheinlich hat mir irgendjemand gesagt, dass man das so macht. Ich habe überhaupt nicht verstanden, wozu das gut sein sollte, es gab dort nichts zu lesen, und was ich mit meiner Pinnwand sollte, war mir rätselhaft. Ewig lang lautete mein einziger Beitrag „Wozu ist diese Pinnwand da?“. Ein Teil der Sinnlosigkeit bestand darin, dass ich keine „Freunde“ hatte, weil damals in meinem Bekanntenkreis niemand so etwas brauchte. Ähnlich wie in den 80-ern, als wir so stolz waren, ein Faxgerät zu haben. Auch das war lange Zeit nutzlos, weil niemand sonst ein Faxgerät hatte.

Dann bot mir Facebook an, dass ich ihm (ihr? es?) meine Kontakte hochladen könnte, um mich anschließend mit diesen zu verknüpfen. Klasse Idee! Klick, Klick, sofort tauchten ein paar bekannte Gesichter in meiner Freundesliste auf. Ungefähr ein Jahr und etliche Zählfreunde später dämmerte mir, dass es vielleicht damals keine so gute Idee war, Facebook den Zugriff auf alle meine Kontakte mit Vor- und Nachnamen, E-Mail, Telefon, Geburtstag und Anschrift zu gewähren. Da war es allerdings längst zu spät, die meisten waren inzwischen ohnehin auch irgendwie bei Facebook gelandet. Heute habe ich ca. 200 Facebook-Freunde, seit Jahren gibt es keine sinnvollen Personen-die-Du-vielleicht-kennst-Vorschläge mehr. Stattdessen nervt die Werbung für Hörgeräte, Sehtests oder künstliche Gelenke.

Mark ist ein kleiner Junge mit einem zu großen Spielzeug

Wenn nun in der aktuellen Diskussion alle entsetzt über die Macht von Facebook sind, bin ich wiederum entsetzt über den naiven Datenanalphabetismus. Politiker und Journalisten übertreffen sich gegenseitig in absurden Vorschlägen, gefallen sich im kollektiven Facebook-bashing und tragen damit weiter dazu bei, die Probleme zu vernebeln – weil sie sie selber nicht verstehen. Dabei macht Facebook nichts anderes als von Anfang an: Daten sammeln.

Anders als gerne geschrieben wird, hat Facebook nichts Illegales getan. Es gab kein „Datenleck“ und es wurden auch keine Daten unerlaubt irgendeiner Firma zugespielt. Es gab (und gibt noch immer) eine ganz legale und dokumentierte Möglichkeit für externe Firmen, eine App zu programmieren. Diese besagte Quiz-App, mit der das aktuelle Cambridge Analytics-Thema begann, haben sich damals Facebook-Nutzer freiwillig installiert und dabei freiwillig Fragen beantwortet. Und ebenfalls haben diese Nutzer zugestimmt, dass diese App auch die eigenen Kontakte und deren Profile einsehen darf.

(Frage: wann hast du das letzte Mal zugestimmt, dass eine App Zugriff auf alle Deine Kontakte hat? Vielleicht eben bei WhatsApp?)

Das alles war legal und fand mit Zustimmung der Nutzer statt. Aber dann hat ein Mitarbeiter der Umfragefirma diese Daten illegal weitergegeben. Facebook hat davon irgendwann erfahren und sich zusichern lassen, dass diese Firma die Daten löscht. Diese dritte Firma hatte mit Facebook nichts zu tun und hat sich einen Scheiß um das Weitergabeverbot gekümmert. Und jetzt ist es ein Problem für Facebook. So weit, so schlecht.

Leider ist es so, dass Mark Zuckerberg ein kleiner Junge mit einem zu großen Spielzeug ist. Sein beschränkter Horizont zeigte sich bereits in den letzten Jahren in vergleichbaren Situationen mit einer verlässlichen Regelmäßigkeit in der immergleichen Reaktion wie auch jetzt: “Nein! Doch! Oh!”.

Dass jetzt so getan wird, als ob Facebook zu schlampig mit Daten umgeht, ist lächerlich. Denn Facebooks Geschäftsmodell ist ja genau das: Daten zu monetarisieren. Das ist und war nie ein Geheimnis, jeder der nicht die letzten zehn Jahre unter einem Stein gelebt hat, weiß das. Jeder Betreiber einer Webseite, der bei den eigenen Inhalten einen Like-Daumen eingebaut hat, weiß, dass bei jedem Aufruf der eigenen Seite die öffentlichen Daten des Aufrufenden an Facebook weitergeleitet werden. Und jeder Nutzer könnte dies in den Datenschutzerklärungen der Webseite nachlesen – so er es denn wollte.

Facebooks Monopol wird durch den “Skandal” noch stabiler

Die Aufregung ist verlogen, verschleiert dadurch das wirkliche Problem und wird deshalb nur dazu führen, dass Facebook noch mächtiger werden wird.

Das will ich kurz erläutern:
Von der Justizministerin bis zur EU-Kommissarin sind sich Politiker einig, dass mit der neuen Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) die in der EU ab Ende Mai gilt, die Verbraucherrechte gegenüber Facebook gestärkt werden. Das ist richtig, z.B. wird Facebook nicht mehr so einfach wie bisher Daten von Nicht-Facebook-Nutzern sammeln dürfen. Nur erfüllt Facebook bereits jetzt für alle angemeldeten Nutzer mehr Datenschutzrechte als gesetzlich gefordert. Selbst nach den neuen Richtlinien hätte Facebook (fast) nichts falsch gemacht. Im Gegenteil: die neue DSGVO gilt nicht nur für Facebook und Google, sondern für alle Unternehmen in der EU. Jeder Kaninchenzüchterverein muss jetzt Datenschutzerklärungen ausarbeiten mit Dokumentation der Datensicherheit, Widerspruchsrecht, Recht-auf-löschen – um nur ein paar Punkte zu nennen. Die großen Unternehmen lachen darüber, denn sie über-erfüllen diese Anforderungen bereits seit Jahren! Schon lange kann man bei Google oder Facebook Auskunft über sämtliche gespeicherte Daten auf Knopfdruck erhalten. Du willst wissen, was Google von Dir weiß? Hier kannst Du alles sehen. Alles was Facebook von Dir gespeichert hat, kannst Du hier sehen. Google und Facebook müssen nichts verheimlichen, weil sie wissen, dass ihr Monopol durch Transparenz weiter gestärkt wird.

Der EU-Datenschutz stärkt Internet-Monopole

Teuer und existenzbedrohend wird die DSGVO hingegen für kleine Unternehmen, die eine Putzfrau beschäftigen oder ein Kontaktformular auf der Webseite haben. Jeder Verbraucher (Du und ich) kann ab Ende Mai von jedem Unternehmen Auskunft über die gespeicherten persönlichen Daten verlangen, inkl. gesetzlicher Grundlage zur Speicherung, wer der Datenverantwortliche ist, bei welcher Behörde man sich beschweren kann, woher diese Daten kommen, wann diese gelöscht werden, wer diese Daten sonst noch gesehen oder erhalten hat – und das ist noch nicht alles. Auf Wunsch müssen diese Daten in einem gängigen lesbaren Format herausgegeben werden, sodass sie zu einem anderen Anbieter übertragen werden können. Bei Facebook und Google geht das seit Jahren, ein Startup muss dafür tausende Euro in die Hand nehmen. Und welche Firmen haben in Kürze ein Programm bereitgestellt, um Daten in jeglichem Format entgegen zu nehmen – die großen oder die kleinen? Eben.

Der Verbraucherschutz der DSGVO ist schön für die Verbraucher, schlimm für kleine Unternehmen und super für die Monopolisten. Mr. Zuckerberg selbst ist davon begeistert: “I think [it is] going to be a very positive step for the internet”.

Ein weiteres Beispiel wie durch das DSGVO das Datenmonopol verstärkt wird und kleine Unternehmen behindert werden:
Bei Instagram können Nutzer Fotos hochladen, was auch fleißig in Anspruch genommen wird. In den Datenschutzerklärungen kann Instagram (ganz DSGVO-konform) erklären, dass diese Fotos ausgewertet werden und Erkenntnisse wie Datum, Ort usw. weiter verarbeitet werden, z.B. zu Werbezwecken. Wer nicht zustimmt, kann Instagram eben nicht nutzen. Natürlich werden (fast) alle zustimmen, schließlich ist Instagram das Facebook der U-30-Generation. Aus verschiedenen Porträtfotos (Selfies) können aber noch viel mehr Daten als Ort und Zeit verwertet werden: Nicht nur Alter und Geschlecht, auch Einkommensstatus, politische Einstellung, usw.. Das ist keine Zukunft, das ist alles bereits heute möglich und wird auch angewendet. Dies sind wertvolle persönliche Daten, die gewinnbringend eingesetzt werden können. Alles, was eine Firma wie Instagram oder Facebook dafür benötigt, ist die Zustimmung des Benutzers, die dieser zähneknirschend geben wird.

Wer bei Facebook oder Instagram den Bedingungen nicht zustimmt, wird ausgeschlossen – friss oder stirb. Aber wer würde einem unbekanntem Startup dieselben Rechte zugestehen die persönlichsten Daten zu verkaufen? Eben.

Facebook und Google sind Monopole die nichts Geringeres wollen, als das komplette Internet zu sein. Ein Leben ohne Google? Viel Spaß!

Aber statt dass unsere Regierungen diese Gefahr erkennen, fördern Sie die Monopole auch noch, zum Beispiel durch Gesetze: Zum Jahresanfang ist das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) in Kraft getreten, welches nichts Geringeres ist als die offizielle Kapitulation vor Facebook. Es besagt, dass wenn rechtswidrige Inhalte auf einer Plattform wie Facebook veröffentlicht werden, der Betreiber (also in diesem Fall Facebook) diese innerhalb von 24 Stunden löschen muss. Zur Erinnerung: auch bisher war es so, dass rechtswidrige Inhalte gelöscht werden mussten. Nur war es bisher Aufgabe der Polizei und Staatsanwaltschaft festzustellen, ob etwas justiziabel ist oder nicht. Mit dem NetzDG hat der Gesetzgeber amtlich diese Funktion aufgegeben, jetzt sind dafür Hilfskräfte bei Facebook zuständig. Die Begründung der Gesetzgeber ist, dass der Staat es personell nicht schafft. Das ist ungefähr so, als wenn es hieße: Wir können Eure Nachbarschaft nicht sichern, das muss jetzt bitte eure Bürgerwehr in die Hand nehmen. Facebook ist durch das NetzDG mit gesetzlicher Legitimation der Hüter und Entscheider darüber, was strafbar ist und was nicht. Facebook hat sich darüber jedenfalls nicht beschwert, sondern neue Mitarbeiter eingestellt.

Wir werden nie mehr über unsere Daten bestimmen können

Es heißt, Facebook habe Vertrauen verspielt und deswegen müsse sich etwas ändern. Auch das ist fernab jeglicher Realität. Nach einer Umfrage bereits vor dem aktuellen Geschrei hatten 80% der Nutzer kein Vertrauen in Facebook. Das hat sie aber nicht davon abgehalten, Facebook zu nutzen. Erinnert sich noch jemand an die Aufregung vor ein paar Jahren, als Facebook WhatsApp kaufte? Es gab landesweite Appelle WhatsApp zu löschen und stattdessen Threema o.ä. zu nutzen. Nach anfänglicher Euphorie sind doch wieder alle bei WhatsApp. Genauso wird es dieses Mal sein: Alle schimpfen, aber nichts wird sich ändern. Denn wir, die Nutzer, sind längst nicht mehr diejenigen, die über unsere Daten bestimmen, und das wird auch nie wieder so sein. Jedes Foto, auch die Bilder, die andere von uns machen, jede Bewegung, jeder Ort, jede Zahlung, jede E-Mail, jeder Anruf, jede Kontaktperson, jeder Herzschlag, jeder Blick aufs Telefon – alles sind sehr wertvolle Daten, die überall und jederzeit verfügbar sind und über die andere verfügen. Und je strenger der Datenschutz ist, desto schwerer ist es für neue Firmen an diese Daten zu kommen und desto leichter ist es für die Monopolisten, diese Daten zu verwerten.

Die Politik, die eigentlich dafür zuständig ist, die Rechte der Schwachen gegen die Macht der Monopole zu schützen, versteht leider überhaupt nichts von den Geschäftsmodellen der Datenfirmen. Die schlimmsten Befürchtungen wurden diese Woche wahr, als US-Senatoren Mr. Zuckerberg grillen wollten. Ein Senator hat ihn gefragt (ohne Scheiß): “Wenn bei Facebook alles umsonst ist, wie verdienen Sie denn überhaupt Geld?”

Und so gibt es täglich neue absurde Vorschläge von aufgeschreckten Politikern. Facebook zerschlagen? Dann übernimmt Snapchat, Instagram, Pinterest oder WeChat den Platz. Neue Mono- oder Duopole gibt es bereits oder entstehen derzeit in allen Branchen: Airbnb, YouTube, Netflix, Uber/Lyft, Ebay, PayPal, Deliveroo/Foodora, Immoscout/Immowelt,… Amazon baut überall kleine Amazons, die nehmen eine Zerschlagung bereits vorweg.

Der Algorithmus von Facebook soll offengelegt werden? Zum einen kann niemand damit etwas anfangen, denn die Ergebnisse der AI-Algorithmen kann nicht mal mehr der Programmierer erklären. Wenn es anders wäre, können wir sicher sein, dass die bösen Menschen diese Algorithmen noch viel effektiver für ihre bösen Ziele nutzen würden.

Ein anderer weltfremder Vorschlag: Alle Daten von Facebook sollen anonymisiert allen zur Verfügung gestellt werden. Damit wäre dann also das Wettrennen eröffnet, wer am schnellsten seine Botschaften unter diesen Nutzern verbreiten könnte. Ja, Russland – ich guck Dich an!

All diese Vorschläge sind wohlfeil, einfach deshalb, weil es zu Facebook und Google keine Alternative gibt. Und solange es keine Alternativen gibt, wird sich auch nichts ändern. Die Alternativen, die sich ankündigen – etwa WeChat – sind nichts anderes als noch größere Monopole.

Menschenschutz statt Datenschutz

Was fehlt, ist eine Strategie (in unserem Fall) der EU. Es ist immer noch die Rede davon, dass unsere Daten geschützt werden, aber das ist Quatsch: Nicht unsere Daten müssen geschützt werden, sondern WIR müssen geschützt werden. Der Mittelpunkt sind wir Menschen, und eben nicht unsere Daten. Unsere Daten sind überall und werden von allen möglichen Firmen und Geheimdiensten verarbeitet. Dies zu verhindern oder zu erschweren nützt nur den großen Firmen, die entsprechende Ressourcen haben, und die damit ihre Vormachtstellung weiter ausbauen können. Was wir dringend brauchen, ist der Menschenschutz – vor Institutionen die unsere Daten verwerten.

Wir brauchen ein eigenes Facebook

Wenn es eine Institution gibt, die unsere Interessen als Bürger vertritt, dann muss das in einer aufgeklärten Demokratie die EU sein. Die EU muss selber ein Facebook und ein Google für uns bauen. Google und Facebook haben infrastrukturelle und soziale Aufgaben übernommen, für die eigentlich der Staat zuständig ist. Diese Hoheit müssen wir uns zurück nehmen. Da eine Enteignung oder Zerschlagung nicht in unserem Rechtssystem vorgesehen ist, lautet die naheliegende Antwort: Wir brauchen eine EU-Suchmaschine und ein EU-Facebook. Mit einer soliden, vertrauenswürdigen Alternative wäre es ein leichtes Facebook und Google good-bye zu sagen.

Dass es dafür noch immer nicht zu spät ist, kann man sehen, wenn man mal ins Ausland schaut. In Indien will ein Unternehmer ein eigenes Facebook bauen. In China und Russland gibt es weder Facebook noch Google – statt dessen werden z.B. mit Baidu in China nationale Alternativen entwickelt. Auch wenn die politischen Beweggründe andere sind, zeigt es doch, dass es sehr wohl möglich ist, ein eigenes Suchsystem und soziales Netzwerk zu errichten. Dazu bräuchte man aber eine Idee, was anders sein soll als bei Facebook oder Google. Und eine Strategie und vor allem den Willen dazu! Aber zu allererst müsste erkannt werden, dass die derzeitigen Bemühungen das Gegenteil vom Gewollten erreichen und die Position der Monopole festigen.

P.S.: Wie versprochen, hier die Auflösung zur Zeile “This is your digital life” – so hieß die Quiz-App bei Facebook bei der Millionen Facebook-Nutzer freiwillig mitgemacht haben; und damit dieser App den Zugriff auch auf die freigegebenen Daten der “Freunde” erlaubt haben, welche wiederum illegal von einem Mitarbeiter an eine Firma verkauft wurden. Das haben die sich schön ausgedacht, ich werde mir das merken…