Ab und zu hänge ich Merksätze über meinem Bett oder Schreibtisch auf. Lange Zeit hing dort ein Zitat von Walt Disney: “If you can dream it, you can do it”.

Hört sich banal an? Im Gegenteil, denn eigentlich ist damit alles gesagt: Unsere Gedanken schaffen eine Vorstellungswelt, die unsere Wirklichkeit und deren Erleben mitgestaltet – for better or worse. Im Idealfall bringen wir die Kraft auf, das, was uns wichtig ist, als bestimmenden Faktor in die eigene Lebenswirklichkeit aufzunehmen; wenn es nicht so gut läuft, jagen uns die Dämonen einer düsteren Weltsicht in Szenarien der Negativität. Das ist kein neoliberales Denken und auch keine Esoterik, sondern ein simples Runterbrechen von quantenphysikalischen Erkenntnissen: Es gibt immer mehrere Realitäten und wir treffen Entscheidungen, welche Realitäten wir anerkennen – oder eben nicht.

Sprache schafft Wirklichkeiten

Die Sprache spielt in diesen komplexen Vorgängen der Realitätskonstruktion eine entscheidende Rolle. Alles, was wir sind, ist Sprache. Kommunikation, Gefühle, Haltungen – unsere gesamte Welt-Anschauung gründet auf Sprache, und die Art und Weise, wie wir uns in der Welt verorten, funktioniert über Analogien und Metaphern. Wenn wir glauben, dass wir etwas verstehen, dann benutzen wir Analogien, das heißt, wir konstruieren Ähnlichkeiten, um etwas Fremdes oder Unbekanntes im Rahmen von etwas Vertrautem und Bekannten zu erfassen. Die Kognitionswissenschaft spricht in diesem Zusammenhang von “Framing”. Das Gesagte erhält einen “Rahmen” der immer auch Werte bzw. Bewertungen einschließt.

Man nehme den Begriff der “Künstlichen Intelligenz” (KI). Jeder denkt dabei sofort an metallisch glänzende Computerhirne, an Roboter, komplexe Schaltkreise und komplizierte Algorithmen. Im assoziativen Nebel schwingen möglicherweise noch Begriffe wie Big Data, Datensicherheit, Wandel der Arbeit oder Sequenzen aus Science Fiction-Filmen mit. Die vor dem inneren Auge auftauchenden Bilder sind je nach persönlicher Einstellung entweder bedrohlich oder verheißungsvoll. In jedem Fall aber – und darauf möchte ich hinaus – rahmt der Begriff Intelligenz mit Technik. Man könnte auch sagen, dass Intelligenz als menschliches Attribut technisch aufgerüstet wird.

Tatsächlich hat die KI durch die Entwicklung von Rechenleistung und Software heute eine Dimension erreicht, die fast überall auf der Welt alle Lebensbereiche durchdringt. Egal ob wir einkaufen, eine Reise buchen, Auto fahren, auf Partnersuche sind oder unser neues, smartes Home einrichten: die digitalen Helfer sind überall und sie kennen unsere Gewohnheiten, unsere Vorlieben bald besser als wir selbst. Die Technik wird in Zukunft intelligenter sein als wir, sagen die einen. Die intelligenten Roboter nehmen unsere Arbeitsplätze weg, sagen die anderen und wieder andere meinen, wir seien auf dem besten Weg, eine Superintelligenz zu entwickeln, die mit einem eigenen Bewusstsein ausgestattet alles in den Schatten stellt, was Menschen jemals erträumt, erdacht und erfunden haben.

Ist Intelligenz berechenbar?

Folgt man den Erzählungen der KI-Forschung, dann ist Intelligenz vor allem etwas, das messbar und berechenbar ist. Wie ein Algorithmus, der nach bestimmten logischen Regeln abläuft. In dieser Analogie betrachtete schon Alan Turing, der Erfinder des modernen Computers, das Gehirn als “menschlichen Rechner” und nahm es zum Vorbild für eine Maschine, die rationale Denkprozesse nachbilden konnte. Auch der Mathematiker John von Neumann ließ sich in seinen Studien von neurologischen Modellen inspirieren und zog Parallelen zwischen den Bestandteilen der damaligen Rechenmaschinen und den organischen Bausteinen des Gehirns. Seine These, das menschliche Nervensystem sei digital, prägte die KI-Forschung und wirkt in Formulierungen wie “künstliche neuronale Netze” oder “neuromorphe Computer” bis heute nach. Alex Pentland, Leiter des Media-Lab am MIT und einer der bekanntesten Computerwissenschaftler weltweit schwenkt in seinem Vergleich von Computer und Gehirn gleich auf eine globale Ebene: „Wir müssen unsere neuen Technologien nutzen, um ein ‚Nervensystem‘ zu entwickeln, das dabei hilft, die Stabilität von Regierungen, Energie und des öffentlichen Gesundheitssystems auf der ganzen Welt aufrechtzuerhalten.“

Problematisch an solchen Vergleichen ist, dass sie nahelegen, Computer wären optimierte Gehirne. Oder umgekehrt, Gehirne wären einfach nur Rechenmaschinen mit geringerer Leistung.

Inzwischen profitiert die computerbasierte KI-Forschung von den rasanten Fortschritten in den Biowissenschaften und der Neuroscience. Anstelle des simplen Analogiemodells Computer-Hirn rückt dabei das Gehirn als Organ mit umweltgebundenen adaptiven Funktionen in den Vordergrund. Verblüffend ist allerdings, wie stark trotzdem nach wie vor auf berechenbare Intelligenzattribute gesetzt wird. Neulich habe ich zum Beispiel einen Artikel über ein Team von Molekularbiologen in China gelesen, das Technologien zur Sequenzierung von DNA nutzt, um Daten von besonders intelligenten Menschen zu analysieren. Ziel des Forschungsprojektes sei es, die in der DNA abgespeicherten kognitiven Fähigkeiten bis zu einem IQ von 1000 zu verbessern. Ist das nun wow! oder einfach nur Frankenstein reloaded?

Vereinfachungen sind bequem, helfen aber auch nicht immer …

Zugegeben, KI ist superabstrakt und sperrig. Es ist deshalb durchaus nachvollziehbar, hier mit Vergleichen und Metaphern zu arbeiten. Was mich an dieser Art von “Framing” allerdings zunehmend stört, ist die Reduktion von Intelligenz auf einen rationalen, abstrakten und entmaterialisierten Geist. Als ob Bewusstsein sich in quantifizierbaren Rechenleistungen erschöpfen würde und das Gehirn nichts weiter wäre als ein Netz von Neuronen. Klar, die rund 86 Milliarden Neuronen und ihre 100 Billionen Verbindungen in unserem Kopf sind unvorstellbar komplex, und selbst die optimistischsten KI-Apologeten aus dem Silicon Valley räumen ein, dass diese Kapazitäten auch von den avanciertesten Optimierungsmethoden künstlicher neuraler Netze mit Deep Learning noch bei weitem nicht erreicht sind und auch in absehbarer Zukunft nicht erreicht werden können. Trotzdem unterstellt die Analogie zwischen dem Gehirn als neuronalem Netzwerk und dem Computer als “künstliches neuronales Netz”, dass das Gehirn ein Rechenapparat ist, der einer binären Logik folgt.

Solche Framings zementieren den alten Dualismus von Geist und Körper – und die damit verbundenen Wertungen gleich mit. Wenn einem immer wieder erzählt wird, Gehirne seien so etwas wie Rechenmaschinen, und der Unterschied zwischen Kohlenstoff und Silizium marginal, dann glaubt man irgendwann daran und blendet den Körper aus.

Natürlich verarbeitet der Mensch Informationen. Und selbstverständlich haben diese Metaphern als Modelle für die wissenschaftliche Arbeit und Erkenntnis ihren enormen Wert. Sie sind brauchbar, um bestimmte Aspekte des menschlichen Lebens zu verstehen – aber sie sind eben Abstraktionen und erfassen nie das Ganze.

Der Mensch ist weder eine “Fleischmaschine”, wie Marvin Minsky, der Miterfinder der Künstlichen Intelligenz, in den 1950er Jahren formulierte, noch lässt er sich vergleichen mit einer Super-Intelligenz aus einem Software-Labor. Der Mensch hat einen Körper, der mit fünf Sinnen ausgestattet seine Umwelt sieht, riecht, ertastet, fühlt schmeckt und hört und aus all diesen Reizen Aktionen und Reaktionen entwirft, die aus einem Haufen Zellen und Neuronen überhaupt erst ein intelligibles und intelligentes Wesen machen.

Jenseits von Nullen und Einsen

Siri Hustvedt macht in ihrem neuen Buch auf diese “Erklärungslücke” zwischen Geist und Gehirn aufmerksam. Die Illusion der Gewissheit ist eine brillant geschriebene Abhandlung über den Geist-Körper-Dualismus in der westlichen Kultur und ein Frontalangriff auf die GOFAI – die “good old-fashioned artificial intelligence” – welche die etablierten Grenzziehungen fortschreibt und zementiert.

Kann der Verstand auf Neuronen im Gehirn reduziert werden? Kann eine Maschine fühlen? Kann menschliche Subjektivität mit Zahnrädern und Schaltkreisen nachgebildet werden? Was ist lebendig und wie können wir wissen, ob etwas lebt?

Die GOFAI landet bei solchen Fragen in einer Sackgasse, denn sie basiert auf einem zwar logischen aber unzulänglichen Modell des Geistes. Denken ist nie neutral, es beruht auf Gefühlen, auf Interessen, auf einem Körper und auf sozialen Beziehungen. Neuere KI-Forschung habe zwar verstärkt damit begonnen, dynamischere Formen wie etwa Emotionen und Affekte in ihre Berechnungen zu integrieren, doch die meisten Vorschläge zielten nach wie vor lediglich darauf ab, das Computermodell des Geistes feiner zu justieren, nicht es zu kippen.

Stattdessen plädiert Hustvedt mit Husserl, Merleau-Ponty und neuen Ansätzen aus der Psycholinguistik, der Anthropologie und der Literaturwissenschaft im Gepäck für eine “Verkörperung” des Denkens: “Vieles, was der Mensch zu tun lernt, lernt er, weil er ein Körper ist, der im Auf und Ab und Hin und Her zwischen den Räumen, die ihn umgeben, navigieren muss.” Alles Wahrgenommene hat Anpassungsleistungen zur Folge. Das Gehirn ist ein “erfinderisches Organ”, das Wirklichkeit nicht abbildet, sondern erfindet und der Körper ist an diesen Erfindungen maßgeblich beteiligt.

Für philosophische Betrachtungen ist das ein alter Hut und in der Literatur lassen sich zahllose Beispiele finden, die von der (Un-)Möglichkeit des Menschen, sich selbst zu begreifen, erzählen. Doch weite Teile der KI wurzeln noch immer in den naturwissenschaftlichen Denktraditionen des 17. Jahrhunderts und deren Vorurteilen gegen alles Körperliche und Sinnliche. Die Auguren aus dem Silicon Valley, die die KI-Debatte mit Euphoriewellen über die Zukunft eines übernatürlichen Zeitalters der unsterblichen Maschinen überschwemmen, schrumpfen aus dieser Perspektive betrachtet zu fossilen Resten eines überkommenen Denkgebäudes.

Erfahrungs-Räume

Es ist immer einfacher, in Schablonen zu denken und die Wirklichkeit nach Kriterien von Körper und Geist, Natur und Kultur, richtig und falsch zu sortieren. Tatsächlich befördert die Sprache in ihren begrifflichen Gesetzmäßigkeiten diese Vereinfachung und auch das oben beschriebene “Framing” stellt nichts weiter als einen Versuch dar, die unendliche Vielfalt an Informationen einzuhegen und die Dinge aus buchstäblich “auf den Punkt” zu bringen. Leider – oder Gottseidank – ist die Realität kein Punkt auf einer Skala. Vielmehr stellt sie sich dar als Ausdehnung in Raum und Zeit, als vielschichtiger Möglichkeitsraum. Um diesen zu begreifen und immer wieder neu zu gestalten bedarf es einer multisensuellen Kultur. Weg von den binären Logiken und der Eindimensionalität eines rationalen Denkens und hin zu einer Kultur der Neugier, der Offenheit und des Zweifels.

Joseph Weizenbaum, einer der Grandseigneurs der Computerwissenschaft, lange Jahre Professor am MIT und großer Skeptiker der KI spricht mir aus der Seele:

“Die Welt ist voller Geheimnisse – und das Credo der KI-Szene, dass alles berechenbar sei, verleugnet das Geheimnis des Lebendigen, es erzeugt die Illusion vollständiger Durchschaubarkeit und legt nahe, alle Aspekte unserer Existenz seien enträtselbar. Der Glaube an Wunder und Mysterium erscheint aus dieser Perspektive lediglich als eine besondere Form von Dummheit. Mich verletzt diese Behauptung totaler Berechenbarkeit zutiefst.”

Dem ist nichts hinzuzufügen.