Vor einigen Tagen habe ich mich auf den Weg ins schöne Bayern gemacht. An den Chiemsee. Meine kleine jährliche Auszeit. Wie jedes Jahr besuche ich meine Freundin C., die da lebt und schreibt, wo andere Urlaub machen.
Mit der untergehenden Sonne komme ich an. Auf der einen Seite wachsen die Berge aus der Ebene des Münchner Umlands in den Himmel, auf der anderen Seite breitet sich der Chiemsee, das bayerische Meer, aus. Und mittendrin das Haus von C. Eine wunderschöne Villa Kunterbunt mit drei Stockwerken und angebauten Terrassen und bis zum Dach von knarzigen alten Obstbäumen zugewachsen. Es wirkt fast wie ein Fremdkörper in der bayrischen Ein- und Mehrfamilienidylle der Nachbarschaft mit Vorgärten, ordentlich gestutzten Rasen und holzgetäfelten Riesenbalkonen, von denen rotrankende Geranien in dicken Wülsten nach unten tropfen.
Das Haus steht etwas entfernt vom Dorf auf einer Anhöhe und wenn man auf der Terrasse sitzt, dann schweift der Blick in die Weite des Hochtals, über grüne Wiesen und hier und da hingetüpfelte Häuser, wandert langsam die Berge hinauf und spaziert dann weiter auf den Bergkämmen in die Horizontale. Augen-Meditation.
Ich sitze mit meinem Laptop auf der Terrasse und sauge das alles in mich ein. Nach den unerträglich heißen Wochen dieses Jahrhundertsommers in Berlin ist das Balsam für die aufgeheizten Sinne. Die Terrasse ist von Affenbrot-, Apfel- und Zwetschgenbäumen umrankt; um die Ecke schielt ein Holunderbusch, der schon die ersten schwarzglänzenden Beerendolden trägt. Es riecht nach Heu und (wenn der Wind günstig steht) ein wenig nach Kuhmist. Ab und zu muht eine Kuh, ein Traktor fräst sich mähend durch die Wiesen. Ansonsten Stille.
Und trotzdem ist es diesmal anders. Die Hitze ist fast unerträglich. Man kann den Eiswürfeln in meinem Wasserglas beim Schmelzen zusehen. Ich schaue in das Grün und denke an die verbrannten Bäume, die auf meinem Weg quer durch Deutschland die Autobahn säumten. Kiefern, die aussahen als hätten sie Sonnenbrand, Laubbäume wie von einem Feuer angesengt. Unwirkliches Orange.
Und die Äcker, manche bereits abgeerntet, andere noch mit Korn bestanden, das anders als sonst um diese Jahreszeit nicht weich und voll im Wind wiegt, sondern trocken und mickrig in den Himmel stakst. Und die Wiesen: statt sattem Grün versengte ockerfarbene Flächen. Wie im Süden, dachte ich und erinnerte mich an einen Sommerurlaub mit meinen Eltern in Südspanien, wo wir bei 40 Grad durch die Sierra Nevada fuhren. Natürlich ohne Klimaanlage (das gab es Anfang der siebziger Jahre in Autos noch nicht) fuhren wir mit heruntergekurbelten Fenstern übers Land, damit wenigsten etwas Zugluft ins Wageninnere strömen konnte. Ich kann mich noch sehr gut an mein kindliches Erstaunen darüber erinnern, dass selbst die Zugluft so heiss war, wie bei uns zu Hause die Luft aus dem Haarfön.
Die Luft hier draußen auf der Terrasse hat auch Haarfönqualitäten. Im Gegensatz zu Berlin kühlt sie sich allerdings am Abend etwas ab, wenn der Wind von den nahen Bergen über die Wälder streift und die Wiesen ermattet aufatmen.
Trotzdem, die grünblaue Postkartenidylle ist trügerisch. Das Gras ist zwar noch grün, aber satt ist es auch hier schon lange nicht mehr. Heute morgen erzählte jemand, dass das Gras auf den Wiesen inzwischen kaum mehr wächst, weil die Feuchtigkeit fehlt. Deshalb findet in diesem Jahr voraussichtlich in manchen Gebieten der Almabtrieb früher statt. Die Kühe oben auf den Almen bekommen einfach nicht mehr genug zu fressen und müssen deshalb hinunter ins Tal. Es wird auch weniger Heu geben. Und weniger Obst und weniger Weizen. Und auf den Bergen sind weniger Wanderer unterwegs. Es ist einfach zu heiß zum Wandern und so drängen sich Touristen und Einheimische an den Ufern des Chiemsees, der aufgrund seiner Größe noch Kühlung verspricht. Bei den kleineren Gewässern im Umland sieht es anders aus; aufgrund des beschleunigten Algenwachstum in der schwülen Hitze sinkt der Sauerstoffgehalt rapide und die Seen kippen der Reihe nach um. Das ist im Norden nicht anders. In Hamburg wurden vergangene Woche fünf Tonnen tote Fische aus der Alster geborgen.
Gerade erhalte ich eine Meldung auf meiner Wetterapp: Es drohen Tornados und Superzellen – whatever that is, es hört sich jedenfalls bedrohlich an….
Das sind die Paradoxien dieses Jahrhundertsommers. So viel Biergarten und Grillparty war selten. Die Eistheken in den Supermärkten sind dauerleergekauft, FlipFlops werden zum bürotauglichen Schuhwerk und der Sommerschlussverkauf wird voraussichtlich Rekordzahlen schreiben.
Auf der anderen Seite wird dieser Jahrhundertsommer vielleicht als Vorbote kommender Klimakatastrophen in die Geschichte und unsere Erinnerungen eingehen.
Mag sein, dass das überhaupt seine eigentliche Botschaft ist: Ein Weckruf an unsere Steinzeitgehirne, die noch immer, auch nach zigtausenden von Jahren, nur auf unmittelbare Bedrohungen reagieren können. Ein Säbelzahntiger, ein Unwetter, die feindliche Sippe am Horizont: das sind Gefahren, mit denen wir gelernt haben, umzugehen. Auf Reiz folgt Reaktion. Die Taten von Trump, diesem Vorzeige-Steinzeithirnträger, verdeutlichen täglich aufs Neue, wie zuverlässig dieser Urzeitreflex funktioniert.
Das Problematische an den heutigen Herausforderungen ist, dass sie diesen gelernten Reiz-Reaktions-Mustern nicht mehr folgen. Die Konsequenzen sind nicht sofort greifbar, sondern offenbaren sich viel später, oft erst nach Jahrzehnten, dann aber mit schwerwiegenden und unüberschaubaren Effekten auf allen Ebenen – ökonomisch, ökologisch, gesellschaftlich und sozial.
Die Komplexität dessen, was mit dem Klimawandel auf uns zurollt, können wir vielleicht (wenn überhaupt) intellektuell mit Zahlen und Fakten erfassen. Aber begreifen und emotional erleben, was das alles für unsere Kinder und Kindeskinder bedeutet, können wir nicht, weil das, was geschieht, viel zu abstrakt ist. Es fehlen die Erzählmuster. Und deshalb tun wir auch nichts – oder noch immer viel zu wenig. Außerdem: wer will sich schon über einen schönen, heißen, langen Sommer beklagen, wenn es andere Themen gibt, die uns vermeintlich viel unmittelbarer bedrohen, wie etwas die Flüchtlinge, die Asylpolitik, die EU-Krise …
Und so machen wir bis auf weiteres einfach weiter, frei nach dem Kölschen Grundgesetz: et hätt noch immer jot jejange.
Aber was ist, wenn es diesmal nicht mehr klappt? Wenn wir mit unseren SUVs, den drei Flugreisen jährlich nach Mallorca und nach Bali und zum Skifahren nach St. Moritz; den neuen Smartphones im 12-Monats-Takt und den Erdbeeren in der Weihnachtszeit nicht mehr davonkommen?
Nathaniel Rich, Essayist der New York Times, hat kürzlich eine lange Reportage veröffentlicht, in der er darlegt, dass eigentlich in den 1980er Jahren alle wissenschaftlichen Grundlagen zur Erderwärmung auf dem Tisch lagen. Aktivisten und Wissenschaftler setzten die Bausteine zusammen und in der Politik wurden Kommissionen gebildet, die an Lösungen zum Klimaschutz arbeiteten. Und danach geschah: nichts oder zumindest nicht viel. Jedenfalls viel zu wenig, 30 Jahre lang. Wer nach diesem Sommer immer noch nicht glaubt, dass wir unsere Gewohnheiten drastisch ändern müssen, dem sei diese Reportage ans Herz gelegt. Und allen anderen auch.
Till Osswald
9. August 2018 — 7:14
Hallo Schwesterlein, super schön geschrieben! Natürlich hat mich ganz besonders der Teil mit der gemeinsamen Spanienreise mit dem Fahrtwind-Heisöuftföhn-Vergleich angesprochen! Ich kann mich zwar noch an die Reise. It den Eltern erinnern und dass damals bei Elce Wassernotstand war und nur einmal in 1-2 Tagen Wasser floss, dass dann in allen möglichen Behältern ( Badewannen, Waschbecken, Eimern solange gesammelt wurde, bis das Wasser wieder nach kurzer Zeit angestellt wurde. Der heiße Fahrtwind war mir so nicht im Gedächtnis sondern kam mir nur nachträglich in den Sinn wie wir das aushielten wenn wir an Ampeln standen oder wie es wohl war wenn wir eingestiegen waren…? Immerhin hatten wir uns ja nach der Wassernot aus Elce nach Andalusien aufgemacht und sind mehrere 1000 km herumgefahren und das nur in 2 kleinen Bergsteigerzelten ( zu 5 mit Opa!).
Bei diesen Gedanken wird einem Bewußt, dass man früher einfach genügsamer war und mehr auf dem Boden der Tatsachen. Ich denke dass der Gedanke an Klimakathastrophen einfach von all den neuen Eindrücken um Digitalisierung und all der damit verbundenen Hektik und schnelllebigkeit auf der Strecke geblieben ist…
Anja
9. August 2018 — 9:30
Schön, dein Kommentar, lieber Till – ein bisschen Familiengeschichte via Blog
lutz engelke
13. August 2018 — 8:43
Liebe Anja. dein blog
hat mich heute morgen geweckt. aufgeweckt die kleinen fluchten sind irreal, weil one world. die bilder aus der ISS zeigen ein verdorrtes deutschland , wie in spanien , italien, suedfrankreich . 30 Jahre klimwandel ….erzeugt eine andere physik um uns herum. …..trotzdem. have a nice day, bis zum 18.8 8.08pm 18‘
Lutz