Hunde. Leben.

Mein Verhältnis zu Hunden ist, nun ja, nicht unkompliziert. Seitdem ich als Zehnjähriger, unschuldig auf dem Fahrrad fahrend, von einem kleinen kläffenden Köter in die Wade gebissen worden bin, ist meine Beziehung zu Hunden belastet.

Die darauffolgenden Jahrzehnte in Berlin haben meine negative Voreinstellung regelmäßig bestätigt. Ohne alle traumatischen Erlebnisse an dieser Stelle nachzuerzählen, lässt sich meiner Meinung nach die Berliner Bevölkerung ziemlich zuverlässig anhand der Hundehaltung in zwei recht unversöhnliche Lager teilen:

Auf der einen Seite die Hundebesitzer.

Auf der anderen Seite freundliche Mitmenschen, die von Hunden angebellt, bedroht, genervt werden, von Hundebesitzern verlacht (oder beschimpft) werden, den Grunewald meiden müssen, unschuldig laufen und dabei jederzeit überall auf Hundescheiße achten müssen.

Ohne zu viel zu verraten, gehöre auch ich einer der beiden Gruppen an.

Bis Bhutan.

Um zu erzählen, wie das passieren konnte, muss ich etwas ausholen.

In der buddhistischen Lehre, soweit ich sie rudimentär verstanden habe, ist das Leben (bzw. die gesamte Ordnung der Dinge) ein immerwährender Kreislauf. Wir werden geboren, wir leben, wir sterben, wir werden wiedergeboren – immer so weiter. Allerdings darf man sich nicht darauf verlassen, wieder als Mensch auf die Welt zu kommen. Auch eine Wiedergeburt als Ratte oder Schmeißfliege ist nach der buddhistischen Lehre möglich. Welche Lebensform jeder nach seinem Tod einnimmt, hängt vom Verhalten als Lebender ab. Das Schicksal jedes Einzelnen folgt aus der Gesamtheit aller Taten, die jeder in allen früheren Leben vollbracht hat. Das Ziel muss sein, sich durch gute Taten eine entsprechende Reinkarnation zu sichern.

Und nun kommt’s: es gibt eine Hierarchie der Lebewesen. Um es kurz und einfach zu machen, die untersten Stufen sind verschiedene Tiere, dann kommt der Mensch. Aber! Das höchste Tier, vor der Inkarnation zum Menschen, ist der Hund.

Und diese Haltung gegenüber jedem Lebewesen, insbesondere dem Hund, zeigt sich im täglichen Alltag und Umgang mit den Vierbeinern.

Überall, wirklich überall, trifft man auf Hunde. Im Wald, in den Bergen auf 3.500m Höhe, vor einem Kloster und natürlich auf jeder Straße. Die Menschen und die Autos umkurven geschickt, selbstverständlich und wohlwollend die lässig liegenden Lebensgefährten. Wenn wir in der absoluten Wildnis die Picknick-Klappstühle auseinander falten, dauert es keine fünf Minuten, bis eine streunende Mischung neben uns sitzt und treu darauf wartet, Reste von uns zugeworfen zu bekommen.

Diese ganze Hundepräsenz löst bei mir als Hundeambivalenter gewohnheitsmäßig Abwehr- und Schutzreflexe aus. Aber schon nach kurzer Zeit muss ich erkennen: Hunde können tatsächlich auch ganz anders sein, als ich sie in Berlin erlebe. Die Freundlichkeit und Akzeptanz, die diesen Hunden entgegengebracht wird, zahlen sie zurück – in Form von ebensolcher Freundlichkeit und Wohlwollen. Nie waren diese Hunde aufdringlich, im Gegenteil: es waren treue Begleiter, dankbare Keks-Abnehmer und sehr entspannte Zeitgenossen.

Tatsächlich konnte ich mir bildlich und lebhaft vorstellen, dass dieser oder jener Hund bald wieder unter uns sein wird, dann aber als Mensch – sie hatten etwas Großzügiges und Selbstverständliches an sich.

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Auffallend war auch, dass diese Hunde nie bellten. Sie kamen zu uns, begleiteten uns auf verschiedenen Wanderungen und verließen uns wieder irgendwann – wie eigenständige Persönlichkeiten.

Um die Philosophie der Reinkarnation besser zu verstehen, waren die Erlebnisse mit den Hunden für mich die erhellendsten: Behandelt man die Hunde respektvoll und gerecht, behandeln sie auch uns gerecht. Das hat mich beeindruckt und sehr gefallen. Der Begriff “Hundeleben” hat damit eine ganz neue Bedeutung bekommen. Als Hund in Bhutan zu leben, ist nicht das Schlechteste.

P.S.: In Thimpu waren wir in einem Hotel, das etwas oberhalb der Stadt lag. Der große Vorteil war, dass man nachts ruhig schlafen konnte, denn in der Stadt ist das für Mitteleuropäer ungünstig, da die ganze Nacht lang die Hunde bellen.

P.P.S: In meiner Jugend habe ich die Filme mit Bud Spencer und Terence Hill geliebt, sehr zum Schrecken meiner intellektuellen Sozialisation. Heute schließt sich der Kreislauf von Filmen wie “Zwei Himmelhunde auf dem Weg zur Hölle”, sicherlich einer der schlechtesten Filme aller Zeiten, dennoch unvergesslich!
Ich habe immer gehofft, dass es da einen tieferen Sinn geben könnte, weiß aber nicht, ob das noch für eine andere Geschichte reicht…

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