The Magical Thunderbolt

Schwänze.

Überall.

Auf Hauswänden, in Vorgärten und in Souvenirshops; als Wegweiser oder geschnitzter Schlüsselanhänger, als originalgroße Skulptur, als Briefbeschwerer … In allen möglichen Größen, Farben und Formen (ok, bei Formen sind naturgegebene Limits gesetzt, aber man staunt, was auch da an Variationen möglich ist….).

Es gibt rote, rosafarbene und lilafarbene, ja sogar grünliche und gräuliche Penisse. Es gibt erigierte Schwänze mit Schleife, Schwänze mit Augen (teilweise zwinkern die einem sogar zu…) Schwänze mit züngelnder Spitze, mit spritzendem Sperma; gebogene lange und kleine muskulöse. Es gibt dicke Penisse mit behaarten Eiern, dünnliche ohne Haare, stehende, fliegende, und so weiter und so weiter.

Das alles begegnet einem und hört gar nicht mehr auf, wenn man durch Punakha Valley läuft, ein kleines Dorf mitten in Bhutan, in einem idyllischen Tal gelegen, eingebettet in die Ausläufer des Himalaya und umgeben von Bananenstauden und Reisfeldern. Wahrscheinlich würde das Tal auch heute noch, rund 50 Jahre nach der Öffnung des Königreichs Buthans für den Westen, im süßen Dornröschenschlummer liegen. Wenn es da nicht diese auffallenden Bilder gäbe …

Jedes Haus hat seine eigenen Penis-Fresken. Und Frau staunt. Zumal die westeuropäisch und feministisch sozialisierte Frau, die zwar mit erotisch aufgeladenen Darstellungen weiblicher Körper von frühester Kindheit an vertraut ist, aber im Allgemeinen eher wenig in Berührung kommt mit ebenso selbstverständlich wie beiläufig sexualisierten Männlichkeitsattributen, die in aller Öffentlichkeit zur Schau gestellt werden.

Und so laufe ich staunend durch das abendliche Punakha. Die Sonne kippt langsam hinter die sanft geschwungenen Ausläufer des Himalayas, während die Reisbauern völlig unbeeindruckt von der Fresken-Kulisse ihres Dorfes mit schweren Reissäcken von den Feldern kommen und Kinder auf den abgeernteten Stoppelfeldern Fangen spielen.

Niemand interessiert sich für die Armada von Penissen.

Tatsächlich haben die Punakha Penisse (PP) nichts Erotisches oder gar Pornografisches an sich. Sie wirken eher lustig. Für die Bhutanesen haben sie Symbolcharakter. Sie sollen das Haus und seine Bewohner schützen und böse Geister abwehren.

Ursprünglich gehen die Penisse auf Drukpa Kunleg zurück, den Yogi, der vor ungefähr 600 Jahren den tantrischen Buddhismus von Tibet nach Bhutan brachte. „The Divine Madman“ brach wie eine anarchische Urgewalt in die geordnete spirituelle Welt ein. Drukpa hielt sich an keine Regeln. Er trank, wann immer er Lust dazu hatte, er sang, er las, er tanzte und er verführte jede Frau, die ihm über den Weg lief. Mit sämtlichen Frauen aus dem Dorf soll er im Bett gewesen sein, sagt die Legende. Irgendwann war dann Schluss. Drukpa entsagte allen irdischen Freuden, baute ein Kloster und zog sich dorthin zurück.

Seine Lehre aber blieb: dass kein Gesetz heilig genug ist, um nicht in Frage gestellt zu werden. Dass man sich seine eigenen Regeln setzen muss und dass das, was bleibt, immer das ist, was man selber daraus macht.

Mit dieser Verbindung aus Spiritualität und Lebensfreude wurde der „göttliche Narr“ zum Vorbild und sein „Magic Thunderbolt“ zum Glückssymbol, ein Zeichen für den Sieg des Guten und die Freude am Körper, am Sinnlichen, am Leben.

Und eben diese Funktion haben all die Penisse in Punakha. Ob mit und ohne Schleife, ohne Augen und mit: Sie sind allesamt „gute Geister“, die den Haussegen schützen sollen – und gleichzeitig offenbart sich in Ihnen die wilde Seite der buddhistischen Kultur. Eigentlich eine sehr schöne Verbindung.

Weil ich dieses obszöne-nicht-obszöne Szenario bei meinem Abendspaziergang durch Punakha noch nicht richtig packen konnte, habe ich es leider versäumt, mir einen „Magical Thunderbolt“ zu kaufen. Aber das nächste Mal lasse ich mir einen schnitzen und hänge ihn dann in meiner Kreuzberger Wohnung auf. Auf die Kommentare bin ich jedenfalls schon jetzt gespannt…

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