Es gibt wohl kaum zwei gegensätzlichere Städte als Hong Kong und Berlin. Hier das moderne, saubere, durchgetaktete Zentrum des Kapitalismus, dort der seine kreative Lässigkeit zelebrierende Zufluchtsort für freigeistige Individualisten.
Dies wird mir wieder klar, als wir Hong Kong verlassen. Wir fahren mit dem Airport Express zum weit außerhalb gelegenen Flughafen. Die rund halbstündige Fahrt ist eine einzige beeindruckende, vorbildliche Präsentation der Technik und Logistik. Alles ist schnell und unkompliziert, alles klappt, von Anfang an. Das Taxi bringt uns in 10 Minuten zum Bahnhof mitten in der Stadt. Dort angekommen geht es nicht in die Bahn zum Flughafen, sondern erst einmal zum Check-in. Ja genau, das Gepäck wird bereits am Bahnhof aufgegeben, nicht erst am Flughafen. Der Flug beginnt bereits am Bahnhof (Edmund Stoiber, für die Älteren unter uns), der Rest der Anreise ist entspannt, ohne Koffer, die im Gang alles verstellen oder Sitzplätze belegen. Beim ersten Mal begleitet einen die Angst, ob die denn wirklich die Koffer nicht nur zum Flughafen, sondern auch ins richtige Flugzeug schaffen. Die Befürchtungen sind umsonst, es klappt wie am Schnürchen.
Ganz im Gegensatz zu Berlin, z. B. im Nahverkehr. Eine Fahrkarte für die BVG zu kaufen ist bereits eine Expertenentscheidung. Zunächst die Entscheidung, welche Zone: AB oder BC oder ABC? Die fragenden Gesichter von Touristen in Schönefeld können einem leid tun. Wer je in Schönefeld durch den Tunnel zu den Bahnsteigen gehetzt ist, kennt das Bild: Massen von Reisenden stehen geduldig in Schlangen, um mit dem Fahrkartenautomaten zu kämpfen.
Der Bildschirm reagiert nur widerwillig, Karte zum bezahlen reinschieben (mehrfach, weil natürlich der Magnetstreifen unten rechts sein muss). Die PIN zur Kreditkarte ist vergessen, also nochmal von vorne, diesmal müssen Münzen aus dem Portemonnaie gefingert werden, damit man dann der Maschine beim Bedrucken der Tickets in Zeitlupe zuschauen kann. Der Fahrschein ist zwar gedruckt, aber noch längst nicht befahrbar. Ein Entwerter muss gesucht und das Ticket mit einem Zeitstempel versehen werden. In der Zwischenzeit ist die U-Bahn längst ein- und wieder abgefahren. Der nächste Zug kommt erst in 10 Minuten.
Mit der BVG-App ist es noch schlimmer. Vor der ersten Benutzung muss man sich registrieren. Sämtliche persönliche Daten werden verlangt; dass die Schuhgröße nicht dabei ist, ist vermutlich nur auf die Nachlässigkeit der Programmierer zurück zu führen. Aber die Kreditkartennummer ist natürlich dabei, d.h. diese Angaben müssen regelmäßig aktualisiert werden. Sinnvollerweise wird die App auf einem Telefon benutzt, das genau dann, wenn man eine Fahrkarte buchen will, nicht funktioniert, weil im U-Bahnhof kein Empfang ist. Dann doch lieber die Tortur am Automaten.
Und wie ist das in HK so? Man besorgt sich eine Octupuscard. Das ist so etwas wie eine Geldkarte, nur in funktionierend. In den U-Bahnhöfen gibt es Schalter, an denen man die Karten mit Geld aufladen kann. Die Octupuscard funktioniert kontaktlos, d.h. man legt sie auf eine gekennzeichnete Fläche – fertig. U-Bahn fahren wird zum Kinderspiel. Karte vor dem Drehkreuz aufgelegt, pieps, durch. Keine Tariffragen, kein Fahrschein, nichts. Das alles geschieht buchstäblich im Vorbeigehen. An Stationen wo viele Menschen mit Koffern erwartet werden, sind die Durchgänge so breit, dass man durchlaufen kann, ohne sich mit dem Koffer im Drehkreuz zu verknoten.
Am Ende der Reise das gleiche Spiel am Ausgang. Das Restguthaben wird auf einem gut lesbaren Display angezeigt, so dass man immer auf dem Laufenden ist. Und das Beste, die Karte wird stadtweit an allen möglichen Kassen akzeptiert: auf der Fähre, in der Straßenbahn, bei 7-11, bei Starbucks, im Kino, usw…. Noch besser: das Geld ist zu 100% verfügbar. Keine „Servicegebühren“ oder andere „Transaktionskosten“. Keine persönlichen Daten werden abgefragt, keine Protokolle wer, wann, was, wo bezahlt hat, die Karten sind völlig anonymisiert. Während in Berlin der zeitliche Aufwand sowieso fast egal ist da, die Bahn eh unpünktlich und unzuverlässig kommt, kann man in Hong Kong die Uhr nach der U-Bahn stellen. Nicht nur, dass sie fast im Minutentakt fährt und die Umsteigeoptionen so getaktet sind, dass man nur den Bahnsteig auf die gleichzeitig andere einfahrende Bahn wechseln muss, sie ist auch noch superpünktlich.
Das System kann trotzdem immer weiter optimiert werden: da in der Vergangenheit immer wieder Passagiere von der Rolltreppe sich in die gerade schließenden Türen stürzten und damit den Fahrplan um Sekunden verzögerten, stehen nun an den entsprechenden Türen Guards mit einem schicken großen rundem Schild in der Hand. Kurz bevor die Türen schließen, bauen sie sich vor der Tür auf, halten das Schild vor sich in die Höhe auf der eine Figur „STOP!“ schreit. Keiner kommt vorbei, der Fahrplan stimmt wieder.
Hong Kong ist supereffektiv und normiert. In der 8 Mio. Metropole fahren hunderttausende von Menschen täglich ohne Verzögerungen schnell, zuverlässig und preisgünstig (eine Fahrt mit der Straßenbahn kostet umgerechnet ca. 20 Cent, eine 30-minütige Fahrt mit der Fähre 1,20 €) durch die Stadt. Berlin hingegen lebt von Vielfalt und Abweichungen, Individuen und eigenwilligen Interpretationen. Dass Manches nicht immer supergut klappt, ist wohl der Preis der gezahlt werden muss. Und damit meine ich noch nicht einmal den BER, aber das ist eine andere Geschichte…
Katrin
22. Oktober 2017 — 10:09
Liebe Anja, das interessiert mich alles sehr. Schöner blog!
Anja
22. Oktober 2017 — 12:25
Danke, liebe Katrin, das freut mich!
Susanne
11. Dezember 2017 — 17:47
Am Flughafen Schönefeld gibt es keine U-Bahn. Es war wohl die S-Bahn gemeint?