Aus Immobilien-Entwickler-Sicht gibt es in Hongkong zwei besonders interessante Arten von Löchern. Die einen helfen den Geistern und die anderen den Investoren.
Auf die Geister-Löcher hatte mich Frieder schon bei unserem Besuch im vergangenen Jahr aufmerksam gemacht. Immer wieder fielen mir damals riesige Auslassungen in Gebäudekörpern von Hochhaustürmen auf. Über mehrere Stockwerke einfach ein Loch. Ein riesiges Nichts.
Zum Durchgucken und Wolkenanschauen…
Am Anfang dachte ich noch, das wäre irgendeine architektonische Raffinesse, die signalisieren sollte, dass die Investoren eben doch nicht jeden Quadratmeter zur Gewinnoptimierung nutzten. Aber in Wirklichkeit laufen die Logiken von Invest und Return-on-invest hier buchstäblich ins Leere. Denn bei diesen Löchern sind andere Gesetze bestimmend. Entscheidend ist das Gesetz des Fengshui. Es gilt für alle und überall — zumindest diese Haltung teilen die Hongkonger mit den Chinesen (während die Hongkonger ansonsten ja eher darum bemüht sind, sich von den eher als grobschlächtig empfundenen „mainland“-Chinesen zu distanzieren). Und das Fengshui ist bei allen Neubauplanungen unbedingt zu berücksichtigen. Deshalb wird bei allen wichtigen Immobilienprojekten ein sogenannter Geomant hinzugezogen, das ist ein Spezialist, der die günstigste Ausrichtung des Gebäudes, die Lage der Fenster und Türen aber auch die Einflüsse von Wind und Wasser, von Himmelsrichtungen und, ja, von Geistern, kennt.
Im Neubaukomplex am Hafen von Aberdeen beispielsweise ist das Loch für den Drachen, der im dahinterliegenden Berg lebt und dessen Flugbahn zum Meer genau durch diese Öffnung führt. Andere „Dragon Gates“ befinden sich in Gebäuden, die unmittelbar vor Friedhöfen stehen. Hier sind die Löcher im Gebäude für die Seelen der Verstorbenen da, damit diese nicht an den Hochhauswänden abprallen, sondern direkt aus ihren Gräbern hinaus über die Weiten des Meeres bis zum Horizont und darüber hinaus fliegen können.
Eigentlich ein schöner Gedanke, zumal die Küstenlinie von Hongkong mit den vielen kleinen vorgelagerten Inseln wirklich traumhaft ist. Und noch viel schöner, wenn man bedenkt, dass das Gesetz des Fengshui offenbar bis heute gilt, obwohl das britisch durchreglementierte Hongkong inzwischen zu einer der reichsten Metropolen weltweit aufgestiegen ist und dementsprechend auch die Immobilienpreise jenseits von Gut und Böse liegen. In den besonders beliebten Stadtteilen Victoria Peak und Kowloon Town beispielsweise wird für den Kauf einer Wohnung aktuell das Tausendfache des Mietpreises verlangt. In Zahlen heißt das: bei einer durchaus üblichen Miete von 85 Euro pro Quadratmeter darf man sich über einen Kaufpreis von rund 83.000 Euro pro Quadratmeter nicht wundern!
Und damit wären wir bei den anderen Löchern. Nein, nicht denen im Geldbeutel – obwohl die unmittelbar damit zusammenhängen – sondern den Löchern im Boden Hongkongs. Gemeint sind die wirklichen Baulöcher, die Krater, die Hongkongs Immobilienentwickler und die Investmentfonds der großen Unternehmen in die bergige Landschaft graben. Nach oben in die Berge, nach unten hin zur Küste, nach rechts und nach links in die „New Territories“, da, wo das chinesische Hinterland beginnt.
Es ist unglaublich, wie schnell die Häuser wachsen, wie groß die Flächen sind, die bebaut werden und wie unverfroren die schneller-höher-weiter-Wetten in riesige Bauprojekte umgesetzt werden. Kein Berg ist zu steil, kein Grundstück zu klein und kein Raum zu heilig, um nicht noch einen Büroturm, eine Shopping Mall oder einen Wohnkomplex zu errichten.
Jeder Quadratmeter zählt. Alles, was bebaut werden kann, wird der Erde abgerungen. Und wo keine ist, werden Erde und Beton ins Meer geschüttet, so lange, bis schließlich auch hier ein Fleckchen entstanden ist, das bebaut werden kann.
Angesichts dieser Turbo-Dynamiken bleibt nur zu hoffen, dass die Fengshui-Geister und Drachen weiterhin ausreichend Löcher im Beton finden, um die Weiten des Horizonts zu erkunden. Frei-Räume für Nichts! Und schließlich, dass die Fengshui-Meister ihre Macht behalten, um diese löchrig-luftigen Nichtse zu schützen.