Die letzten Silvesterraketen sind verglüht, der Rauch der Knaller hat sich gelegt. Noch liegt das Jahr im Neugeborenenschlummer und auch Berlin träumt noch ein bisschen vor sich hin. Aber es kommt bereits wieder Bewegung in die Stadt. Die Parkplätze werden rarer, der Lärm morgens vor meinem Fenster nimmt zu und die Posts von Freunden aus dem Skiurlaub nehmen ab. Bevor uns also der Alltag wieder fest im Griff hat und all die guten Vorsätze fürs nächste Jahr zusammen mit den Weihnachtsbäumen entsorgt werden, möchte ich für 2018 einmal ganz offiziell und vor Zeugen einen Vorsatz formulieren und, vor allem, diesen auch umsetzen.
Ich muss dazu sagen, dass ich nicht unbedingt zu den Menschen gehöre, die sich an Silvester etwas vornehmen. Natürlich gab es auch bei mir irgendwann die Jahre, in denen ich mir und dem Rest der Welt geschworen habe, nie mehr zu rauchen, endlich konsequent den Müll zu trennen, beim Autofahren nicht mehr zu fluchen (zumindest wenn meine Kinder auf dem Rücksitz dabei sind) oder kein Fleisch mehr zu essen. Hat aber nie wirklich funktioniert, weil auf Dauer die Hedonistin in mir immer stärker war. Ich glaube einfach nicht an Dogmen, nicht an Verbote, sondern mehr an eine Harmonie der Kräfte und eine persönliche, ganz individuelle Wahrheit, die sowieso jede/r für sich finden muss. Eigentlich.
Dieses Jahr allerdings ist anders. Ich habe ganz bewusst einen Vorsatz gefasst: Ich möchte keine rosa Damenrasierer mehr kaufen!
Das klingt erst einmal banal beziehungsweise ziemlich exaltiert. Tatsächlich aber spiegelt sich in dem Phänomen der rosa Damenrasierer der ganze Gender-Wahnsinn, die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern in der Wirtschaft, im sozialen Leben, im Design und überhaupt. Angefangen von Kosmetika über Klamotten bis zu Dienstleistungen wie dem Friseurbesuch gibt es das Gender-Pricing, das permanent vermeintlich „typische“ Geschlechterrollen konstruiert und rekonstruiert. Wie eben zum Beispiel, dass Frauen für pinkfarbene Einwegrasierer 33% mehr als Männer für die gleichen Produkte in Blau zahlen. Die sogenannte Pink Tax bedeutet, dass Frauen für „typische“ Frauenprodukte mehr ausgeben müssen als Männer – und das, obwohl Frauen heute noch immer rund 23 Prozent weniger verdienen als ihre männlichen Kollegen!
Ich möchte da nicht mehr mitmachen. Ich bin fest davon überzeugt, dass sich etwas ändern kann, wenn jede/r Einzelne etwas findet, was zu ändern sich für ihn oder sie lohnt. Bei mir ist es der Gender-Gap. Und da ich glaube, dass klein anfangen besser funktioniert als gleich die Weltrevolution anzetteln zu wollen, beginne ich mit den rosa Einwegrasierern.
Auf die Idee brachte mich nicht nur die #MeToo-Debatte des abgelaufenen Jahres, sondern die zunehmenden Anachronismen und Backlashs in Genderfragen, die ich im Rahmen meiner beruflichen Tätigkeiten in den vermeintlichen Innovationshochburgen der Technologiebranchen erlebe. Dass StartUps nicht notwendigerweise die besseren Unternehmen sind, sondern ihre Mitarbeiter oft schlecht bezahlen und in Unternehmen wie Google oder Tesla Frauen fast durchweg weniger verdienen und – Stichwort Uber – unter sexuellen Übergriffen leiden, hat sich inzwischen zwar herumgesprochen. Ändern tut sich aber wenig. Im Gegenteil, je deutlicher die neuen Technologiefirmen an wirtschaftlichem und politischem Einfluss gewinnen, desto mehr verstärkt sich der Eindruck, dass es sich hier um Clubs von weißen, einflussreichen Männern handelt, die Geld und Macht unter ihresgleichen aufteilen und vermehren. So waren im Jahr 2016 gerade mal 7% der Geschäftsführer von Venture Capital-Firmen Frauen. Das heisst, mehr als 90% der Geldgeber, die darüber entscheiden, welche Geschäftsmodelle eine Zukunft haben und welche nicht, sind Männer! Logischerweise fließt das Kapital dann auch vor allem wieder zu Männern. 98% des Risiko-Kapitals geht an Gründer, nur 2% an Gründerinnen.
Die typische Rechtfertigung für dieses eklatante Missverhältnis, es gäbe halt auch nur so wenig technikbegeisterte Gründerinnen und das Verhältnis repräsentiere lediglich die statistische Verteilung von Unternehmern und Unternehmerinnen im Silicon Valley, klingt schal und zielt an der eigentlichen Fragestellung vorbei, die lautet: Warum kann ein Wirtschaftsstandort, der in puncto gender-equality auf dem Niveau der 1950er Jahre dümpelt als der weltweit innovativste und glamouröseste gelten?
Wie krass die Männerbünde im Silicon Valley im Einzelnen funktionieren, kann man übrigens in einem Artikel in der November-Ausgabe des New Yorker nachlesen.
Letztlich zielt mein persönlicher Boykott der rosa Damenrasierer also auf das Große Ganze. Aber das Große Ganze verändert sich zuerst im Kleinen! Das wusste Shocking Blue schon vor 50 Jahren: “She’s got it!”
Bettina Schwerk
3. Januar 2018 — 17:36
In USA wird auf Tampons Luxus-Steuer erhoben.
Anja
3. Januar 2018 — 18:51
…das bringt den ganzen Wahnsinn auf den Punkt. Danke, Bettina!
hai:ke
14. Januar 2018 — 21:05
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