Wahrscheinlich geht es uns allen ähnlich: Wir haben gemischte Gefühle was den neuen Frauen-Feiertag angeht. Klar, ein freier Tag mehr ist immer gut – aber viel besser wäre doch, wenn statt Feiern wirklich etwas passieren würde. Ich habe den neuen Feiertag jedenfalls erstmal ignoriert.
Jetzt, 10 Tage später, merke ich, dass das auch keine Lösung ist. All die vielen Artikel zum Thema, die rund um den 8. März erschienen sind, zeichnen ein beunruhigendes Bild. Nicht nur, dass die Fortschritte bei der Gleichberechtigung nach wie vor äußerst zäh sind, faktisch hinkt Deutschland im internationalen Vergleich mehr denn je hinterher.
Aktuell liegt der Anteil von Frauen in den Vorständen der 160 deutschen Börsenunternehmen bei 8%. Dort herrscht branchenübergreifend eine erschreckende Homogenität: 75% der Vorstände sind Deutsche, 64% haben ihre Ausbildung in Westdeutschland erhalten – und 5% von ihnen heißen Thomas. Weshalb diese männliche Monokultur auch Thomas-Kreislauf genannt wird.
Der Thomas-Kreislauf ist das Gegenteil von Diversität. Und Diversität ist eigentlich das, was wir brauchen – im Job, im Leben, bei der Erziehung unserer Kinder, bei der Wahl unserer Freunde.
Vor einigen Tagen habe ich einen langen Artikel in der New York Times gelesen. Er handelt vom allmählichen Verschwinden der Frauen aus dem Computer-Business. Der Bericht ist der Entwicklung in den USA gewidmet, doch die meisten der Überlegungen dürften auf die Situation hierzulande übertragbar sein. Interessanterweise spielten Frauen in den 1940er Jahren, also in der Steinzeit des Computerzeitalters, eine nicht unerhebliche Rolle. Während des Zweiten Weltkriegs wurden Computer im militärischen Bereich wichtig und es waren vor allem Frauen, die als Programmiererinnen bei der Entwicklung der ersten digitalen Computer eingesetzt wurden. Damals bestand Programmieren noch weitgehend aus Lochkartenstanzern und über Jahrzehnte machten unzählige Datentypistinnen die zu verarbeitenden Informationen für Computer erfassbar. Angesehen und entsprechend besser entlohnt war der Hardwarebereich, der den Männern vorbehalten war: Maschinen bauen, Lötkolben und Schraubenzieher waren in Männerhand.
Nach dem Zweiten Weltkrieg, als Programmieren vom militärischen in den privatwirtschaftlichen Bereich vorzudringen begann, waren es vor allem Frauen, die maßgeblich an der Entwicklung der ersten Programmiersprachen beteiligt waren. Programmieren galt als Frauendomäne, ähnlich wie Stricken oder Häkeln. Das 1968 in den USA erschienene Handbuch “Your Career in Computers”, stellte sogar die Behauptung auf, Menschen, die gerne kochen, seien auch gute Programmierer. Ebenfalls völlig in Vergessenheit geraten ist, dass Frauen auch wichtige Programmiersprachen entwickelt haben, die Generationen später noch immer relevant sind.
Aus heutiger Sicht klingt das alles ziemlich bizarr, doch dahinter steckt eine Logik, die in der Hierarchie der Geschlechter eine lange Tradition hat, nämlich das Gendern von Berufsfeldern. Ganz bestimmte Berufe gelten als “typisch weiblich” – synonym mit weniger renommiert und weniger gut bezahlt – und dementsprechend ist es für Frauen auch wenig problematisch, dort Karriere zu machen. Genau das war damals im Computerbusiness der Fall. Programmieren galt weder als besonders bedeutsame noch kreative Tätigkeit und bot wenig Renomée. Es musste einfach getan werden und Frauen schienen dafür aus dem einen oder anderen Grund geeignet zu sein. So wundert es auch nicht, dass eine Bewerbungsbroschüre von IBM aus dem Jahr 1957 “My Fair Ladies” betitelt war und speziell Frauen dazu ermutigte, sich für Programmier-Jobs zu bewerben.
Dieser Trend hielt an. Programmieren galt als eine der wenigen gut bezahlten Angestellten-Tätigkeiten, denen Frauen damals nachgehen konnten. Bis in die 1980er Jahre drangen mehr und mehr ambitionierte Frauen in den IT-Bereich vor und begannen ein Informatik-Studium.
Doch dann änderte sich die Situation schlagartig. In der zweiten Hälfte der 80er Jahre ging der Frauenanteil kontinuierlich zurück und Mitte der 1990er Jahre war der wichtige Beitrag von Frauen bei der Entwicklung von Computer- und Informationstechnologien weitgehend in Vergessenheit geraten. Was war passiert?
Grund für diesen Backlash waren die Personalcomputer, die in den 1980er Jahren die Haushalte zu erobern begannen. Commodore 64 oder Atari wurden Teil des Family-Equipments und Teenager begannen, damit zu experimentieren. Wohlgemerkt: männliche Teenager! Denn auf einmal war Technik wieder “Männersache”. Väter kauften sich Computer und ermunterten ihre Söhne, damit herumzuspielen. Das alte Rollenmuster schlug also wieder einmal zu: Jungs werden ermutigt, sich mit Technik zu beschäftigen, Mädchen spielen mit Puppen und helfen im Haushalt.
Die Folge davon war ein eklatanter Rückgang von weiblichen Studienanfängerinnen in den Computerwissenschaften. Studien belegen, dass Frauen sich ein entsprechendes Studium nicht mehr zutrauten, weil sie keine Vorkenntnisse hatten. Frauen begannen, an ihren Fähigkeiten zu zweifeln, zumal sich der Mythos zu etablieren begann, dass nur der, der bereits lange Zeit mit Computern experimentiert hatte, auch wirklich geeignet wäre, in diesem Beruf zu reüssieren.
Das war die Geburtsstunde des Nerds und man braucht kaum zu erwähnen, dass es sich hierbei um ein dezidiert männliches Image handelt. Zumindest in seiner positiven Besetzung. Denn während der männliche Nerd zwar als etwas verwahrloster Typ mit schmuddligem T-Shirt und Brille gilt, der an einer alten Pizza rumknabbert, so ist er doch zumindest sympathisch, wenn nicht gar in seinen Einfällen genial. Weibliche Computernerds trifft hingegen häufig ein Schicksal, das sie mit Geschlechtsgenossinnen aus früheren Epochen teilen: Als zeitgenössische Updates der früheren “Blaustrümpfe” gelten sie als unsympathisch und unweiblich.
Ich finde diese Geschichte vor allem erzählenswert, weil sie mit dem Computerbusiness einen Bereich thematisiert, der heutzutage mit 80% weißen Mittelklasse-Männern zwischen dreißig und vierzig extrem männlich dominiert ist – und damit berechtigterweise zunehmend in die Kritik gerät. Erzählenswert ist sie auch, weil sie deutlich macht, wie stark Berufsbilder, Branchen und Karrieren mit Rollenbildern von Weiblichkeit und Männlichkeit und damit verbundenen Machtstrukturen verflochten sind. Und drittens ist die Geschichte aufschlussreich, weil sie zeigt, welche Bedeutung Eltern bei der Ausbildung von späteren “Männern” und “Frauen” haben.
Deshalb will ich keinen Frauentag. Denn es geht nicht um “Frauen”, sondern um Machtverhältnisse. Vielleicht wäre ein “Gleichberechtigungstag” besser?