©Unknown artist at Ladies Market Hongkong
Wenn die ungleichen Spielregeln abgeschafft sind, wenn Mädchen nicht mehr zum Tragen pinkglitzernder Kleidchen verführt werden und Jungs keine Egoshooter-Spiele mehr brauchen, um sich groß und stark zu fühlen; wenn Frauen ganz selbstverständlich in Führungspositionen global agierender Konzerne sitzen und Männer ganz selbstbewusst 50% der Hausarbeiten erledigen: dann wird alles gut. Dann sind Frauen und Männer gleich.
Wirklich?
Wären Männer und Frauen gleich, wenn sie gleich wären?
Eine aktuelle Studie, die gerade in der renommierten Wissenschaftszeitschrift Science erschienen ist, kommt zu einer ziemlich klaren Antwort: Nein.
Global toilet signs
Die Forscher haben rund 80.000 Menschen in 76 Ländern überall auf der Welt nach ihren Vorlieben gefragt und untersucht, inwiefern diese von wirtschaftlichen und sozialen Faktoren beeinflusst werden. Abgesehen von dem wenig überraschenden Befund, dass sich Vorlieben in der Tat relativ zum wirtschaftlichen Wohlstand verändern, erstaunten vor allem die geschlechtsspezifischen Unterschiede bei den Antworten. Hier zeigte sich nämlich, dass die Differenzen zwischen Männern und Frauen umso ausgeprägter sind, je mehr wirtschaftliche und soziale Chancengleichheit gegeben ist. Im Klartext heißt das: Wenn die existenziellen Grundbedürfnisse gesichert und Männer nicht mehr die alleinigen Bestimmer sind, dann wächst für Frauen offenbar auch die Freiheit, nach eigenen Vorstellungen zu leben. Dazu der Bonner Ökonom und Leiter der Studie Armin Falk: “Gesellschaftliche Unterschiede verändern tatsächlich das Geschlechterverhältnis – nur nicht so, wie manche es sich vorstellen (…) Gleichberechtigung heißt eben nicht Gleichsein.“
@Sonozaki Shion from Higurashi No Naku Koro Ni
Die Unterschiede finden sich zum Beispiel im Umgang mit Risiko. Frauen gehen statistisch gesehen weniger Risiken ein. Sie setzen auch und vor allem dann auf Sicherheit, wenn ihre finanzielle und soziale Situation stabil ist. Männer hingegen haben weniger Angst vor Mißerfolg und wagen daher eher Neues. Männer sind auch geduldiger. Andererseits sind Frauen im Unterschied zu Männern kooperativer, sie vertrauen Teamkonstellationen und sind eher bereit, sich zu engagieren, ohne sofort eine Gegenleistung dafür zu erwarten.
Teamfähigkeit, Altruismus, Sicherheitsbedürfnis – das sind genau die Eigenschaften, die Frauen traditionellerweise zugesprochen werden. Soweit so erwartbar. Allerdings: bisher wurde davon ausgegangen, dass Frauen diese Eigenschaften sofort ablegen, wenn endlich Gleichheit zwischen den Geschlechtern besteht und Frauen dieselben Chancen haben würden wie Männer. Doch genau das ist offenbar nicht der Fall, im Gegenteil: Je mehr Gleichheit im gesellschaftlichen Außen, desto mehr Unterschiede im Geschlechterverhältnis.
Wow! Das ist ein Donnerschlag gegen alle KonstruktionstheoretikerInnen und ich frage mich, was die Studie für die Genderstudies bedeutet? Denn wenn man mit den Genderstudies davon ausgeht, dass geschlechtliche Differenz immer Ergebnis von Zuschreibungen ist, die „Weiblichkeit“ und „Männlichkeit“ definieren, dann besagt die aktuelle Studie genau das Gegenteil: Frauen passen sich an die herrschende – männliche – Ordnung an, indem sie männliches Verhalten quasi „simulieren“. Sobald dies nicht mehr nötig ist, konzentrieren sie sich stärker auf eigene Bedürfnisse und Vorlieben.
Young urban professionals, Hongkong
Die Forscher selbst räumen ein, dass die Ergebnisse noch zu präzisieren sind und ohnehin nicht alles aufs Geschlecht proijziert werden sollte. Trotzdem stellt sich die Frage, wie wir mit diesen Ergebnissen umgehen?! Und mit „Wir“ meine ich hier vor allem Feministinnen, die sich jetzt selbstverständlich nicht einfach mit der Haltung begnügen sollten, dass Frauen eben doch anders sind. Denn selbst wenn Männer und Frauen unterschiedlichen Antrieben folgen, bleibt immer noch die Tatsache einer ungleichen Bewertung der Unterschiede. Denn klar ist doch, dass es zumindest in den gesellschaftlichen Sektoren, in denen Erfolg nach ökonomischen Faktoren gemessen wird, eine deutliche Hierarchie zwischen Risikobereitschaft und Altruismus, Kooperationsfähigkeit und beharrlichem Durchsetzungsvermögen gibt. Kriterien, die in der obigen Studie mit weiblichen Vorlieben assoziiert werden, erfahren eine geringere Wertschätzung als solche, die als „typisch männlich“ gelten. Tatsächlich spielen aber gerade Skills wie Kooperationsfähigkeit, Dialogfähigkeit und soziale Kompetenzen eine wachsende Rolle in globalisierten Gesellschaften, die auf Netzwerken und transdisziplinärer Kooperation gründen. Obwohl das inzwischen weitgehend anerkannt ist, werden diese Kompetenzen noch viel zu wenig als Führungskompetenzen wahrgenommen. Oder, wie es der Bildungsexperte Esko Kilpi formuliert: „Most decision makers are still unaware of the implications of the complex, responsive properties of the world we live in. Enterprises are not organized to facilitate interactions … Interaction creates capability beyond individuals.“
Vielleicht ist die Studie ja ein Anlass, mehr und intensiver über Motivationen und Antriebe, Kommunikationsstile und Interessen von Frauen und Männern nachzudenken und vielleicht könnten auf diesem Wege Anreize zu deren Weiterentwicklung im unternehmerischen und gesellschaftlichen Miteinander geschaffen werden. Das jedenfalls könnte Frauen dazu motivieren, ihre Mimikry-Techniken weiter zu reduzieren und offensiv ihre Stärken auszubauen. Und vielleicht erreichen wir dann irgendwann Gleichheit – nicht im Sinne einer Gleichheit der Geschlechter sondern einer Gleichheit hinsichtlich der Anerkennung und Wertschätzung der geschlechtsspezifischen Unterschiede und ihrer jeweils kreativen Möglichkeiten.
©Unknown artist at Ladies Market Hongkong